Mehr reparieren - weniger produzieren |
In einem News & Views Kommentar in der Nature-Ausgabe vom 15. Mai 08 faßt Ed Brook (Geosciences, Oregon State University) die Analysen des längsten bisher gewonnenen Eisbohrkernes zusammen (EPICA Dome C ice core). Einer eindrucksvollen Abbildung (siehe oben, a) kann man atmosphärische CO2- und CH4-Konzentrationen der letzten 800.000 Jahre entnehmen. Beide Parameter schwanken rhythmisch mit den Eiszeiten; die Werte der letzten 100 Jahre können allerdings nur nach Änderung des Maßstabes in einer Abbildung b dargestellt werden (in a schießen die Kurven über den Rand hinaus). |
Welche Beweise brauchen wir noch um zu erkennen, daß der Mensch dem Planeten Erde momentan Belastungen zumutet, wie sie im Verlauf seiner ganzen Geschichte als Homo sapiens noch nie aufgetreten sind? Was muß alles geschehen, um uns zur Einsicht zu bringen, daß wir so nicht weitermachen können? Wie lange wollen wir noch unseren Planeten einem Wirtschaftssystem ausliefern, dessen oberstes Prinzip das stetige Wachstum ist? Inzwischen sollte jedem Kind klar sein, daß Oberfläche und Ressourcen dieses Planeten beschränkt sind, und daß ständiges Wachstum nur zum Kollaps führen kann. |
Der Mensch ist ein bequemes, egoistisches Wesen. Wenn man ihm die Gelegenheit gibt, verschwenderisch seinen Vergnügungen nachzugehen, dann wird er das tun. Im Allgemeinen versuchen wir, unseren Alltag mit so wenig Aufwand wie möglich zu bewältigen. Unsere persönlichen Ressourcen teilen wir sehr wohl ökonomisch ein; wir versuchen, günstig einzukaufen, uns nicht mit unnötigem Gewicht abzuschleppen, und unsere Bedürfnisse mit möglichst wenig Arbeitsaufwand zu befriedigen. Aber der Mensch ist auch ein soziales Wesen; es geht ihm nicht nur um die Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse. Die meisten Menschen haben auch das etwas vage Bedürfnis, in einem umfassenden Sinn allgemeindienlich zu handeln. |
Dieses vage Bedürfnis muß beim Heranwachsen jedes einzelnen Vertreters unserer Spezies in konkrete Formen gegossen werden. Wir Menschen sehnen uns danach, von einer geschätzten und vertrauenswürdigen Instanz Empfehlungen für unser Verhalten zu bekommen. Fehlen solche Empfehlungen, so werden wir zu rücksichtslosen Freiläufern (free runner), und jede Gesellschaft hat alle Hände voll damit zu tun, solche Elemente (A) erst gar nicht entstehen zu lassen, und wenn sie doch entstehen, sie (B) unter Kontrolle zu halten, ohne daß der Gemeinschaft zu großer Schaden entsteht. |
Das natürliche Bedürfnis des Menschen, allgemeindienlich zu handeln, gibt zu der Hoffnung Anlaß, daß wir unser Weltklima nicht völlig ruinieren werden. Ganz von selbst wird das aber nicht funktionieren. Auf keinen Fall dürfen wir der Wirtschaft weiterhin gestatten, alles, was gefällt und der Bequemlichkeit entgegenkommt, weltweit auf den Markt zu werfen. Der Kommunismus mag zwar als Lebensform versagt haben, das ist aber noch lange kein Grund, den Markt deshalb überhaupt keiner Planung mehr zu unterwerfen. |
Ich fände es z. B. durchaus sinnvoll, Getränke, Lebensmittel und überhaupt Waren aller Art weltweit nur noch in standardisierten Gebinden anzubieten und zu vertreiben. Für eine limitierte Anzahl von intelligenten Standard-Verpackungen ließe sich weltweit eine 100%ige Wiederverwertung organisieren. Ebenso wäre es meiner Meinung nach sinnvoll, Gegenstände des täglichen Gebrauchs weltweit nach wenigen einheitlichen Bauplänen zu konzipieren. Auf diese Weise ließen sich die Kosten für die Reparatur von Radioapparaten, Kühlschränken, Staubsaugern, Autos und Fernsehern minimieren. Es könnte mehr repariert und weniger weggeschmissen, und müßte weniger produziert werden. |
In einem gewissen Ausmaß gibt es solche Normen schon immer. Z. B. gibt es eine Normflasche für Bier mit ziemlich großem Verbreitungsraum, und Normen für Stromkabel und -Stecker, Standards für Computer, Schrauben, Gewinde, bis hin zu Einheitsgrößen für Staubsaugersäcke. Aber das ist noch viel zu wenig. Denn es wird nach wie vor von Jahr zu Jahr immer mehr weggeschmissen, sehr zur Freude einer perversen Wirtschaft, deren oberstes Ziel nicht mehr die Zufriedenheit der Verbraucher, sondern eine ins Grenzenlose wachsende Produktion ist. |
Der Mensch ist voller Widersprüche. Auf der einen Seite freut er sich kindisch über ein neues Auto, ein neues Haus, einen neuen Kühlschrank. Auf der anderen Seite haben wir alle ein paar Dinge, die wir lieber 10 Mal reparieren bevor wir sie durch etwas Neues ersetzen. Oder kennen Sie dieses Gefühl der Trauer nicht, wenn Sie beim Bügeln Ihres Lieblingshemdes feststellen müssen, daß sich der Ellenbogen - auf Kosten der Konsistenz des Ärmels - Luft verschafft hat? Meine Gewohnheit, solche Ärmel zu stopfen, macht mich heutzutage zum Sonderling. |
Manchmal bedaure ich es, daß die Dinge des Gebrauchs heute einem so raschen Wandel unterliegen. Die Wirtschaft sollte sich ein wenig einbremsen und sich besinnen, daß sie eigentlich vom Menschen für den Menschen ersonnen wurde. Auch die Wirtschaftstreibenden selbst leiden unter wachsender Unzufriedenheit und Frustration, denn in immer kürzeren Abständen müssen sie mitansehen, wie Produkte, in denen viel Entwicklungsarbeit steckt, den Bach hinunter gehen. So manches formschöne, praktische Produkt ist wegen zu hoher Produktionskosten schon vom Markt verschwunden - zum Nachteil der Benutzer. |
Ich bin überzeugt, daß alle von einer Umstellung der Produktion auf Nachhaltigkeit profitieren würden. (1) Der Bedarf an Rohstoffen würde sinken. (2) Die Müllberge würden schrumpfen. (3) Wir wären wieder zufriedener mit den Gegenständen des täglichen Gebrauchs. (4) Produzenten wären wieder stolz auf ihre Produkte. |
7/08 < MB (7/08) > 8/08 Thorny blossoms of globalization |
E. Brook (2008) Windows on the greenhouse. Nature 453: 291-2 |