Wenn der Spaß vorbei ist |
Im Jahr 2001 wurde der Welt mit einem Schlag vor Augen geführt, zu welch desaströsen Konsequenzen es führen kann, wenn kulturelle Barrieren ignoriert werden. Der 'westliche' Lebensstil war zu diesem Zeitpunkt bereits etliche Jahrzehnte lang weltweit verbreitet worden. Auch nach '9/11' schritt diese Verbreitung ungebremst fort. Immer mehr Daten übertragende Satelliten umkreisten die Erde und das Internet kam erst so richtig auf Touren. Gab es damals Stimmen, die davor gewarnt haben (außer meiner eigenen)? |
Kaum zu glauben, dass das schon wieder 14 Jahre her ist; 14 Jahre in denen man nicht nur untätig blieb, in denen alles sogar noch schlimmer wurde. Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich weiter geöffnet, der Migrantenanteil in Europäischen Großstädten ist weiter gestiegen, und die mediale Präsenz des 'westlichen' Lebensstils, selbst im hintesten Winkel der exotischsten Kulturen, ist kaum mehr zu überbieten. Dass zuletzt ausgerechnet ein französisches Satiremagazin zum Ziel eines islamistischen Anschlags wurde, überrascht nicht wirklich: Man hätte sich das an den Fingern einer Hand ausrechnen können. |
Worin liegt die Essenz der Satire? Was bringt uns zum Lachen? Schon vor über 100 Jahren hat Sigmund Freud Kluges darüber geäußert, und er war nicht einmal der Erste. Lachen ist im Tierreich weiter verbreitet als man glauben würde. Auch Schimpansen lachen; ihre Lautäußerungen ähneln dabei dem Warnruf vor Gefahren. Sogar bei Ratten hat man in einem für uns unhörbaren Frequenzbereich Laute nachgewiesen, die man eigentlich nur als Lachen interprätieren kann; sie werden vermehrt beim munteren Herumbalgen in der Aktivitätsphase (also im Dunkeln) ausgestoßen. Die Tiere verletzen einander dabei nicht und scheinen jede Menge Spaß zu haben. |
Wir genießen es, Spaß zu haben, und scheinen diesen Genuß mit etlichen Tierarten zu teilen. Was ist es aber, das uns dabei Freude bereitet? Jedem von uns ist schon ab und zu ein Missgeschick passiert; wenn man es heil überstanden hat und später anderen davon erzählt, tut man das meistens in einem heiteren Ton. Das Lachen ist eine entspannende Tätigkeit; oft stellt es sich nach einem kurzen, sich rasch als unbegründet herausstellenden Schrecken ein. Häufig geht ihm das Gefühl der Überraschung, der Verblüffung voraus. Lachen ist also die 'erleichterte Kehrseite' einer Gefahr, einer Bedrohung. |
Auch Witze, die wir einander zur Erheiterung erzählen, spielen oft mit einer Gefahr, einem vorgestellten Übel, das dem Protagonisten in der Erzählung zustößt, und das uns erleichtert auflachen lässt, weil wir nicht selbst das Opfer waren. Der Klassiker auf diesem Gebiet ist die Slapstick-Komödie mit Darstellern, die in die bizarrsten Ungeschicklichkeiten verwickelt werden (treffender Weise ist ein slapstick ein speziell präparierter Schlagstock, der viel Lärm, aber keine Schmerzen verursacht). Solange sich die Betroffenen immer wieder unbeschädigt aufrappeln, ist ungetrübte Heiterkeit beim Publikum die Folge. Diese scheinbare Unverletzlichkeit haben Witzezeichner der 'westlichen' Welt in den letzten 70 Jahren auf die Spitze getrieben: Die gezeichneten Protagonisten dürfen sogar zu Staub zerfallen, und tauchen in der nächsten Szene doch wieder unversehrt und munter auf. |
Der Humor ist allerdings eine heikle Sache. Brüllende Heiterkeit und entrüstete Empörung können eng nebeneinander liegen. Humor gibt es in jeder Kultur, aber die Situationen über die gelacht wird können sehr verschieden sein. Ein guter Witz ist oft eine Gratwanderung. Man kann ihn auch schlecht erzählen und ihn damit verderben. Viele Witze lassen sich kaum von einer in eine andere Kultur übersetzen. Das Resultat kann Ratlosigkeit und manchmal sogar Abscheu und Empörung sein. Manche Witze sind kulturspezifisch und funktionieren nur in jenem Kulturraum, in dem sie entstanden sind, in keinem anderen. |
Seit geraumer Zeit trompetet die 'westliche' Kultur ungebeten ihre 'Witze' in die ganze Welt hinaus. Nicht die ganze Welt findet das zum Lachen. Manche finden das sogar widerlich und empörend. Überraschend ist das nicht. Wüsste man nur ein wenig Bescheid über die verhaltensbiologischen Grundlagen des Humors, so hätte man diese sehr geteilten Reaktionen voraussagen können. Generationen von Sozialwissenschaftlern, Psychologen, Psychoanalytikern, Etho- und Ethnologen haben darüber geforscht. Wozu eigentlich? Wozu wurden Dutzende engagierter Forscherleben geführt, dicke Bücher geschrieben, Hunderte internationaler Kongresse abgehalten und volksbildende Radiosendungen ausgestrahlt? |
Wir alle - also diejenigen, die einigermaßen wach und interessiert durchs Leben gehen und z.B. solche Texte wie eben diesen hier lesen - könnten seit Jahrzehnten ahnen, wie 'die Welt' wohl reagieren würde, würde man ständig die inneren Befindlichkeiten einer einzigen Kultur weltweit quasi über Lautsprecher lauthals diskutieren. Das konnte auf lange Sicht unmöglich gut gehen. Wieso hat niemand davor gewarnt? Entweder haben diejenigen, die es wissen hätten können, geschwiegen; oder die politisch Verantwortlichen haben nicht auf sie gehört. |
Die Welt besteht aus zahlreichen, immer noch sehr unterschiedlichen Kulturen. In einigen wird die Freiheit des Individiums sehr hoch eingeschätzt; in anderen stehen gemeinsame Werte im Mittelpunkt. Beide Wertesysteme sind nicht friktionsfrei unter einen Hut zu bekommen. Gesellschaftliche Wertesysteme sind ziemlich zäh. Es dauert Generationen, bis sie sich spürbar ändern. Änderungen ergeben sich schrittweise unter dem Druck der Jugend aus dem Inneren der jeweiligen Gesellschaft heraus, nicht von außen oktroyiert. Auf diese Weise liefert jede Familie ihren Beitrag, soweit dies unter Wahrung der verwandtschaftlichen Harmonie möglich ist. |
Ein gesellschaftlicher Wandlungsprozess kann und muss medial unterstützt werden, aber das funktioniert am besten mit den eigenen Medien. Es hat wenig Sinn, die Befindlichkeiten einer Gesellschaft medial in eine andere Gesellschaft hineinzutragen. Nur bei Gesellschaften, die einander ähneln, mag das funktionieren. Etwas mehr Höflichkeit und Zurückhaltung stünde uns allen bei kulturellen Angeboten an andere Kulturen gut zu Gesicht. Wir sollten die Ausstrahlung unserer TV-Sendungen prinzipiell auf unseren eigenen Kulturkreis beschränken. |
Kulturspezifische Medien sind wichtig für die laufende Standortbestimmung einer Gesellschaft und die unausgesetzte Verhandlung sozialer Gegensätze und Dynamiken. Wir leben weltweit schon lange in einem medialen Zeitalter. Was früher bei Festen, auf der Straße und in religiösen Zeremonien geschah, findet heute wesentlich effizienter über die Medien statt. Hier werden die modernen Rituale etabliert und ständig modifiziert. Dank der Medien verändern sich Gesellschaften heute rascher als früher, aber es sollten vorzugsweise die eigenen Medien sein, zum Wohle des genuinen Charakters jeder Gesellschaft. |
Unsere Satiren und Witze sollten wir innerhalb unserer Kultur zur Anwendung bringen; dort werden sie verstanden und erzielen sie am einfachsten ihre Wirkung. Wir sollten damit nicht die ganze Welt 'beglücken'. So wie unter einzelnen Personen muss es auch zwischen Kulturen Umgangsformen geben, an die man sich aus Höflichkeit und Rücksichtnahme hält. Es wird uns nicht erspart bleiben, uns besser um den Schutz weltweiter Befindlichkeiten zu kümmern. Nichts ist gefährlicher als orientierungslose frustrierte Massen. Wir brauchen gesunde Kulturen. |
Auch ein 'arabischer Frühling' braucht Zeit. Er muss das Recht haben, wie andere Kulturen auch, aus sich heraus langsam und behutsam zum 'Sommer' zu reifen. Gönnen wir ihm diese Entwicklung, die durchaus freudvoll sein kann und ein kulturelles Geschenk an die ganze Welt. |
1/15 < MB
(1/15) > 1/15 Religion |