Francisco de Goya (1799): Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer (wikipedia)

Hoffen auf Vernunft

Immerhin mehr als eine Milliarde Menschen, also ca. jeder sechste, kann mit der Vorstellung leben, ja ist womöglich sogar von ihr angetan, Gott hätte im 7. Jahrhundert den Erzengel Gabriel uns ausrichten lassen, wie wir uns zu verhalten und nach welchen Regeln wir zu leben hätten.
Wir kennen diesen Gott ja schon ziemlich lange, und es war nie leicht, ihm alles recht zu machen. Schon der Anfang unserer Beziehung war durchwachsen: Er verbot uns, vom 'Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen' zu essen, und wir taten es doch. Darauf folgte das erste Zerwürfnis und wir mussten zusehen, wie wir in der Wildnis alleine zurechtkamen, ohne Paradies.
Wir kamen zurecht und vermehrten uns reichlich, doch wieder war ihm nicht recht, wie wir uns betrugen, und es gefiel ihm, uns alle ersaufen zu lassen in seiner Sintflut, bis auf den braven Noah und seine Familie. Die Bibel ist voll von solchen Geschichten, vom Zorn und der Strenge des einen Gottes. Jahrhunderte lang bläute er seinen Schäfchen Gehorsam ein. Dicke Bücher wurden damit gefüllt, und eines der letzten folgte im 7. Jahrhundert.
Inzwischen war jedoch etwas geschehen mitten im 8. Jahrhundert der damals herrschenden Ordnung ('ab urbe condita'), etwas das bald zur Zeitenwende für einen heute noch größeren Teil der Menschheit werden sollte. Ein gewisser Jesus hatte sich zum menschgewordenen Gott erklärt, zum Vollender und Beender des humorlosen Diktats der Ordnung von Oben nach Unten. Er wusste, dass er damit in lebensgefährlicher Mission unterwegs war, aber das passte in seinen Plan: Gott wurde Mensch, sterblicher Mensch, und konsequenter Weise verlor er sein Leben wie alle anderen Menschen auch, sichtbarer sogar und spektakulärer, auf einem Berg, auf einem aufgerichteten Pfahl. Die 'Christen' waren geboren, die Gott jetzt unter den Lebenden wussten, unter Ihresgleichen.
Sie wurden verfolgt von Anfang an von der staatlichen Autorität, die keine Konkurrenz für die altgewohnten Götter und Göttinnen duldete, bis schließlich das Wunder geschah und dieser Staat, zwar schon im Herbst seines Daseins, dieselbe eben noch verfolgte Religion zu seiner eigenen machte. Von da an lag die Hauptstadt der Christen in Rom und nicht im 'Heiligen Land'. Vielleicht würde heute kein Hahn mehr nach diesem Jesus krähen, wenn sich nicht das damals immer noch mächtigste Staatsgebilde genau diesem Christentum verschrieben hätte.
Für jeden guten Christen ist das Äußerliche nur ein Mittel zum Zweck. Was de facto geschieht, ist nebensächlich; wichtig ist nur die innere Einstellung, mit der etwas getan wird, nicht was getan wird. Erst wer sich dieses Lebensmotto zueigen gemacht hat, wird selbst den Tod unbeschadet überstehen. Ein guter Christ legt es nicht darauf an, durch 'Wohlverhalten' und 'Gesetzestreue' Punkte zu sammeln, um dereinst nach dem Tod dafür belohnt zu werden. Das ist ein weit verbreitetes Missverständnis. Ein guter Christ führt sein Leben in Hinwendung zum Nächsten und strebt nach harmonischer Gemeinschaft. Schon zu Lebzeiten wird er Teil dieser Gemeinschaft und bleibt es über den Tod hinaus. Er geht danach nirgendwohin, in kein Paradies, in keinen Himmel; er findet seinen Lohn im Hier und Jetzt.
Vielleicht könnte man so manches davon auch von einem Moslem sagen, wenn er seinen Glauben recht verstünde. Allein, so manche Moslems heutzutage verstehen ihren Glauben schlecht. Sie hängen zu sehr an Äußerlichkeiten. Sie fühlen sich verpflichtet, den alten Texten zu folgen, Wort für Wort, als ob es darauf ankäme. Es gehört nicht viel dazu, genau nach Vorschrift zu handeln. Man muss nur lesen und hören und dann Punkt für Punkt befolgen, was man liest und was man hört. Manche Menschen wünschen sich nicht mehr. Soll man sie gewähren lassen?
Solange sie damit anderen nicht schaden: warum nicht? Wenn es ihnen so gefällt? Aber muss man nicht auch versuchen, sie anzusprechen? Sie aufmerksam zu machen? Sie belehren gar, dass kein Heil gefunden werden kann im blinden Gehorsam? Man kann es versuchen und hoffen auf das Erwachen der Vernunft, deren Keim in jedem Menschen angelegt ist.
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Religion