(an anthropologist's nightmare)
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Rick Deckard, der Blade Runner in Ridley Scotts gleichnamigen Film aus dem Jahr 1982, sollte den Androiden Rachael eigentlich zerstören; statt dessen... (Humanities Advanced Technology and Information Institute, University Glasgow) |
Wir Menschen
sind biokybernetische Automaten, die dazu da sind, sich Lust zu verschaffen.
Diesem Ziel stehen ein paar lästige Hindernisse im Weg: Wir müssen
hin und wieder Nahrung zu uns nehmen; wir müssen uns auch bei kaltem
Wetter warm halten; und wir sind einem steten Alterungsprozeß unterworfen,
der mit der Zeit unsere Funktionstüchtigkeit immer weiter beeinträchtigt,
bis wir eines Tages überhaupt nicht mehr funktionieren. |
Aber wir haben Strategien entwickelt, um diesen
Problemen zu begegnen. Um den Aufwand zu verringern, der mit der Befriedigung
unserer Grundbedürfnisse verbunden ist, hat es sich als opportun erwiesen,
Gemeinschaften zu bilden. Im Rahmen dieser für alle vorteilhaften Entwicklung
waren wir allerdings gezwungen, Kompromisse einzugehen und unser Verhalten
gegenüber den Mitmenschen gewissen Regeln zu unterwerfen. Man könnte
eine solche dem Gemeinwohl dienende Verhaltensstrategie als "Nächstenliebe"
bezeichnen. Eine solche Strategie würde also dem Kalkül entspringen,
sich unter Ausnutzung der Mitmenschen mehr Lust zu verschaffen. |
Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Denn die Zuwendung des Menschen zum Mitmenschen entspringt inzwischen keinem Kalkül mehr, sondern ist dem Menschen schon lange angeboren, ist also bereits biologisch determiniert. Alle Tätigkeiten, die zur Befriedigung unserer Grundbedürfnisse führen oder dazu beitragen, sind biologisch mit Lustgewinn verbunden, so auch die soziale Interaktion. Wir müssen kommunikativ sein, sonst sind wir nicht zufrieden. Das Ausagieren von sozialen Kontakten gehört also zu unseren elementaren Grundbedürfnissen und bedeutet für uns Lustgewinn. Zu diesem Verhalten können wir uns nicht aufgrund logischer Überlegungen entschließen. |
Aufgrund logischer Überlegungen können wir uns dazu entschließen, vom biologisch Vorgegebenen abzuweichen bzw. darüber hinaus zu gehen. Daraus können "kulturelle" Verhaltensstrategien resultieren, die nicht über die Gene, sondern über die "Tradition" weitergegeben werden. Verhaltensregeln werden dann durch "Erziehung" internalisiert, d.h. sie werden vom Kind zunächst akzeptiert und befolgt, das noch nicht in der Lage ist, aufgrund eigener Überlegungen deren Sinn zu erkennen. Später werden sie nach einer Phase der kritischen Hinterfragung vom Heranwachsenden entweder als sinnvoll erkannt, oder verworfen. Dabei kristallisiert sich ein gewisser Grundstock an Verhaltensregeln heraus, die praktisch nie verworfen werden. Zu diesem Grundstock gehören vor allem Regeln, die die eigene Bevorteilung zum Schaden anderer betreffen ("Du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; ..."), also Regeln, die man auch unter dem Titel "Nächstenliebe" subsumieren könnte. Es gibt also eine Form der "Nächstenliebe", zu der der Mensch erzogen wird, und eine "Basisausrüstung" an sozialem Verhalten, zu der er nicht erzogen werden muß, die ihm angeboren ist, so, wie auch einem Hund ein gewisses Sozialverhalten angeboren ist. |
Wenn wir jetzt Götter als Chiffre verstehen für Unverstandenes, Uneinsehbares, für uns nicht logisch Nachvollziehbares, so, wie wir Gott als Schöpfer der Welt vermuten, weil unser Verstand den Anfang der Welt nicht erklären kann; sind wir dann berechtigt, die "Nächstenliebe" in diese Kategorie einzuordnen, nur, weil sie die Voraussetzung für das Funktionieren des menschlichen Gemeinwesens ist? Verstehen wir diese "Nächstenliebe" denn nicht? Wir verstehen sie doch voll und ganz! Wir verstehen ihren biologischen Grundstock, und wir verstehen den traditionellen Überbau. Wir verstehen alles. Wir verstehen unsere Kinder; wir lächeln über ihre "Konterdependenz". Wir brauchen die Gleichung Gott = Liebe nicht, nicht an dieser Stelle. Wenn bei Paulus von der Liebe die Rede ist, so ist damit nicht die "Strategie zur Durchsetzung des Konsensprinzips" im gruppendynamischen Sinn gemeint, wenngleich zugegeben werden muß, daß sie sich dazu eignet. Liebe ist mehr. Liebe ist der Antrieb für unser Leben. |
Und wir Menschen sind keine biokybernetischen Automaten, die dazu da sind, sich Lust zu verschaffen. |
10/00 < MB 28.
Jan. 2001 > 3/01 |
Wir Menschen brauchen Gedanken mit Realqualität, so ähnlich wie Träume, die wir für real halten. Wir brauchen "100%-Fiktionen" (ununterscheidbar von der Realität), um mit unseren unentrinnbaren biologischen Randbedingungen fertig zu werden. Und die unbezweifelte Realität von Gott - in welcher Form auch immer - ist eine solche 100%-Fiktion. Wir können sie nicht scheibchenweise abtragen, ohne in der Öde des Nichts (Hölle) zu landen. Und schon die bloße Formulierung "100%-Fiktion" trägt den Keim des Zweifelns in sich. Und wenn wir uns zuletzt auf die Gleichung Gott = Liebe zurückziehen, so müssen wir dieser Liebe auch die gebührende Referenz erweisen. Wir müssen sagen, daß sie ist, zu 100% ist, und sie nicht nur als operatives Konzept sehen. Denn unsere biologischen Randbedingungen sind unbarmherzig, sie geben uns keinen Zoll Spielraum, spotten unserer theoretischen Konstrukte. Wir müssen ihnen etwas entgegensetzen, das es mit ihnen aufnehmen kann. Und deshalb bestehe ich darauf, daß etwas ist, weil wir es brauchen wie ein Stück Brot. Und ich bestehe darauf, darüber zu reden, weil das unser Weg ist, mit echter Realität umzugehen. |
Es ist nicht wie Madonna singt:
"Love is not true;
it's just something that we do..." |
home 30. Jan. 2001, 9:51 |