Liebe 'grünbewegte' Menschen! |
Ich
wende mich an Euch, weil wieder einmal - unverhofft früh - Wahlen
anstehen, und wieder einmal, wie so oft in den letzten Jahren,
praktisch alle Parteien ihr Süppchen auch mit einer größeren oder
kleineren Prise Ausländerfeindlichkeit kochen werden. Die Grünen
(und die Liberalen) haben das bisher nie getan; im Gegenteil: sie haben
ihren Wahlkampf bisher eher mit Ausländerfreundlichkeit gewürzt, was
aber nicht zu einem günstigen Abschneiden beigetragen haben dürfte. Um
bei diesem Bild zu bleiben: Mir kommt es manchmal so vor, als würde man
versuchen, eine Suppe mit Seife statt mit Salz zu würzen, und das
funktioniert kulinarisch halt überhaupt nicht. Worauf will ich hinaus? |
Seit
einigen Jahren versuche ich mich auf wissenschaftliche Weise mit dem
Verhalten des Menschen zu befassen. Ich gehöre zwar nicht zur Gilde der
österreichischen Verhaltensforscher, sondern bin nur ein kleiner
Assistent an der Wiener Medizin-Universität, aber immerhin arbeite ich
am Zentrum für Hirnforschung, beschäftige mich seit 30 Jahren mit dem
Gehirn von Mensch und Tier, und mache mir so meine eigenen Gedanken
darüber, warum sich Menschen so verhalten wie sie es nun einmal tun.
Menschen sind nichts anderes als soziale Tiere mit sehr gut
entwickelten Kommunikations-Fähigkeiten. In ständiger
Auseinandersetzung mit wechselnden Umweltbedingungen, mit anderen
Tieren und mit Artgenossen sind sie über Millionen Jahre das geworden,
was sie heute sind. Auch wenn wir heute ins Theater gehen, kluge Bücher
lesen, für Artgenossen in Not spenden, und uns wochenlang daran
delektieren, wie 22 erwachsene Männer auf einer 105 x 68 Meter großen
Wiese herumlaufen und versuchen, einen Ball in 2 Metallrahmen zu
treten, so bleiben wir doch biologische Wesen, aufgebaut aus Zellen,
ausgestattet mit Gehirnen, Nervenzellen, Hormonen, Drüsen, die ganze
Palette natürlicher Gegebenheiten. Und aus diesem Grund werden Menschen
IMMER Angst haben vor Spinnen, vor Schlangen, vor 2 hellen knurrenden
Punkten in der Finsternis, und vor Fremden. Das ist einfach so. Man
kann das im Gehirn messen, es läuft völlig unbewusst ab und kann erst
im 2. Moment, mit genügend Selbstdisziplin, reflektiert und beherrscht
werden. Jeder Politiker, der auf diesem Instrument spielt, wird ihm
Töne entlocken, das geht gar nicht anders. |
Meiner
Meinung nach ist die einzig mögliche Gegenstrategie gegen eine
populistische Überrumpelung der Wähler die WAHRHEIT. Man muss den
Wählern (also im bevorstehenden Fall den Österreicherinnen und
Österreichern) sagen: Ja, ihr habt recht, die immer weiter zunehmende
Anzahl der Fremden unter uns IST beängstigend; die fortschreitende
Durchmischung unterschiedlicher Kulturen STELLT ein Problem dar; wir
können NACHVOLLZIEHEN, dass ihr euch unwohl fühlt. Erst mit solchen
Eröffnungen hat man eine reelle Chance auf das Vertrauen der Wähler. Es
hat überhaupt keinen Sinn, dem Wähler etwas vorzuschwärmen vom ‚Reiz‘
einer multikulturellen Gesellschaft. Die fremde Kultur kann man
gelegentlich zur Unterhaltung als Folklore genießen, aber der Mensch
neigt eher nicht dazu, sich das Fremdkulturelle tagein, tagaus und
überall reinzuziehen. Wir alle haben eine spontane, natürliche Vorliebe
für das Vertraute, das Gewohnte, das worin wir schon als Kinder
geübt wurden. Das gilt natürlich für alle Kulturen, nicht nur für
unsere in Österreich. Jeder Türke, jeder Serbe, umso mehr jeder
Afrikaner, der bei uns leben muss, ist zu bedauern, dass er um sich so
viel mehr Fremde aushalten muss als wir. |
Ich
fände es ganz wesentlich, dass diese Dinge objektiv korrekt
angesprochen werden. Das schafft von Anfang an Glaubwürdigkeit. Erst
danach, in einem 2. Schritt, soll man dann sehr wohl die Frage stellen:
Was tun? Und dann wird eben die Antwort der Grünen nicht die des Herrn
W. sein (Bahn, Busse, ...), sondern die menschliche Haltung: Worin
bestehen die Probleme? Wie lösen wir die Probleme gemeinsam? Dann kann
man einen echten interkulturellen Dialog beginnen. Kein Mensch geht
wirklich gerne anderen Menschen auf die Nerven. Ich würde z. B. gerne
erfahren, welche von meinen (österreichischen) Verhaltensweisen einem
Türken, einem Serben, einem Afrikaner auf die Nerven gehen. Ich
weiß es nicht, ich habe keine Ahnung. Umgekehrt werden die lieben
türkischen, serbischen und afrikanischen Kurz- oder Langzeit-Mitbürger
vielleicht überrascht sein zu erfahren, was uns Österreicher an ihren
Gepflogenheiten stört. Ich frage mich z.B., ob es Musliminnen überhaupt
bewusst ist, dass sie durch das für uns ungewohnte Kopftuch die Blicke
männlicher Österreicher auf sich ziehen (wo doch eigentlich das
Gegenteil erreicht werden soll, oder?) |
Worum ich Euch einfach DRINGEND bitten möchte: Bitte überlasst nicht
schon wieder das Ausländerthema nur den Bösen. Das muss nicht sein. Man
kann dieses Thema auch menschenfreundlich thematisieren. Wir sind alle
Menschen, In- und Ausländer, und wir haben ALLE ein Problem mit
Fremdheit; und das Problem nimmt von Jahr zu Jahr zu. Mit lieben Grüßen, [e-mail an dialogbuero@gruene.at] Darauf erhielt ich am 15. Juli 08 folgende Antwort: |
Sehr geehrter Herr […], Danke für Ihr mail. Natürlich werden sich die Grünen auch weiterhin für einen menschlichen Umgang mit MigrantInnen einsetzen. Ebenso für ein konstruktives Miteinander. Das ist die Grundlage einer modernen Gesellschaft, die von Mobilität und Veränderung geprägt ist. Dabei darf es nicht darum gehen was mich an einer anderen Person stört - egal ob Türke, Serbe oder Ghanaese. Jeden stört irgendetwas anderes. Es geht vielmehr darum rechtliche Grundlagen zu schaffen, die allen hier lebenden Personen möglichst gleiche Chancen und Rechte garantieren kann./ /Der Ausschluss eines Teils der Gesellschaft von Rechten und vom Zugang zu Ressourcen und die daraus resultierende Entsolidarisierung darf keinen Platz in Österreich haben. Dafür werden wir uns auch weiterhin einsetzen. Mit ihrer Unterstützung wird uns das umso besser gelingen. Mit freundlichen Grüßen Ihr Dialogbüro, Grüner Klub im Parlament Meine Antwort darauf am selben Tag: |
Liebes Dialogbüro, na bitte! Funktioniert doch, das mit dem ‚Dialog‘. Eine sehr gute Einrichtung. Ein bisserl enttäuscht bin ich aber doch von dieser Antwort. Irgendwie seid Ihr gar nicht auf mein Thema eingegangen, oder nur so am Rande. Mir ist nicht ganz klar, was Ihr mit der "modernen Gesellschaft" meint, deren "Grundlage … Mobilität und Veränderung" sei. Irgendwie hört sich das so an (liest sich das so), als würde der/die Schreiber/in dieser Zeilen darin einen besonderen Wert sehen. Als jemand, der sich ein bisschen mit Verhaltensforschung befasst, muss ich Euch sagen, dass Ihr da auf dem Holzweg seid. Den Verhaltensforschern ist so ein ‚Wert‘ unbekannt. Zwar gibt es im Leben jedes Menschen eine ‚mobile Phase‘, verbunden mit dem Wunsch nach Veränderung, aber das gibt sich, wenn man älter wird. Später herrscht die Vorliebe für Vertrautes vor. Ihr solltet Euch einmal mit der aktuellen Literatur befassen, das kann nicht schaden. Ich wollte Euch nicht belehren, aber ich würde mir halt wünschen, dass jener Partei, der ich seit ich wählen darf vertraue, auch zu diesem wichtigen Thema etwas G'scheites einfällt; jedenfalls etwas G'scheiteres als das mit der Mobilität, der Veränderung, und mit den gleichen Chancen und Rechten. Das sind doch Selbstverständlichkeiten. Natürlich müssen alle die gleichen Rechte haben. Habt Ihr meine Wortmeldung derart missverstanden, dass Ihr es für notwendig gehalten habt, mich daran zu erinnern? |
Die von Euch so genannte
"moderne Gesellschaft" trägt nur für eine Minderheit attraktive Züge.
Für die Mehrheit entwickelt sie sich immer mehr zu einer Belastung.
Wenn wir ‚Wissenden‘ nicht möglichst bald klug steuernd eingreifen,
wird diese Belastung immer erschreckendere Blüten treiben. Der Mensch
ist ein soziales Wesen und darauf angewiesen, sich in einem
Sozialverband geistig und infrastrukturell zu verorten. Hier erfährt
er seine Regulative für sein Verhalten. Leider funktioniert die Prägung
der heranwachsenden nächsten Generation nicht so wie im Märchen durch
weise alte Menschen, die es wunderbar verstehen, die Jungen mit
Lebensklugheiten und Kraft auszustatten. Nur in den seltensten Fällen
gelingt das heute noch so. Die Jungen mit Migrations-Hintergrund
erleben ihre Alten als solche, die in der gegebenen Gesellschaft nichts
zu sagen haben. Sie suchen sich ihre Idole anderswo, und leider sind
das nicht nur Kluge und Weise. Die Sozialisierung im liebevollen
Familien-Zusammenhang findet kaum mehr statt. Junge Afrikaner rennen
hier bei uns herum und haben keine ‚Heimat‘ mehr. Wir können sie
ihnen kaum ersetzen, denn kaum jemand von uns Eingeborenen hat eine
Ahnung, was für sie ‚Heimat‘ war. |
Unsere Gesellschaft leidet. An
vielen Ecken und Enden. Gehen wir nicht herum und predigen wir: "Es ist
alles okay, alles super und leinwand, alle sind happy, man muss nur die
Vorurteile ablegen" usw. Mit der Zeit werden uns die Betroffenen
auslachen, mit einem sehr bitteren Lachen. Gesellschaften brauchen Zeit, um sich zu entwickeln. Veränderungen müssen verkraftet werden. Das dauert Zeiträume, die sich eher an der Generationsdauer des Menschen orientieren, nicht an den Erfordernissen des Marktes. Der Markt geht gerne über solch selbstverständliche anthropologische Grundtatsachen hinweg, mit z.T. fatalen Ergebnissen. ‚Wir Grünen‘ waren eigentlich von Anfang an eine Partei der Gebildeten, der Gedankenvollen. Wir dürfen uns nicht mit Gutmensch-Gemeinplätzen zufriedengeben; man wird uns sonst nicht ernst nehmen, und wir werden damit auch den Problemen nicht gerecht. Wer hat gesagt "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar"? Ich glaube, die Bachmann war's. Recht hat sie gehabt. Mit lieben Grüßen, an wen auch immer, […] |
7/08 < MB 7/08 > 7/08 |
siehe auch: Der 'Grüne', das unbekannte Wesen (6/09)
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