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Gustav Klimt:Tod und Leben Leopold Museum Wien |
Das wie selbstverständlich Gute |
Elf Menschen durfte ich im ablaufenden Jahr fragen: Glauben Sie an Gott? (S. Parnia et al. 2008-12) Viermal lautete die Antwort "Ja". "Nein" allerdings war noch seltener, denn die meisten (fünf von elf) zogen sich auf ein "Ich weiß nicht" zurück. Die Mehrheit scheint also auf diese Frage heute keine Antwort mehr geben zu wollen. |
In meinem Postfach lag heute die aktuelle Ausgabe von MS Aktuell, dem Informations- Magazin der Multiple-Sklerose- Gesellschaft Wien. Es traf mich wie ein Keulenschlag, auf diesem Weg vom Tod eines Kollegen und Freundes zu erfahren, mit dem ich einmal sehr angenehm zusammen gearbeitet habe (Vass et al. 1989). |
Warum bestürzt uns ein Tod wie dieser ganz besonders? Viele einzelne Gründe ließen sich nennen. Mein Kollege war relativ jung. Er hatte Familie. Er war engagiert, sehr geschätzt von seinen Patienten. Er war ein ausgesprochen netter Mensch. Er hatte Freude an intellektueller Konfrontation, und war manchmal auch von unerträglicher Gelassenheit, wie ich in einem Nachruf so schön und treffend lesen konnte. |
Wenn man versucht, das plötzliche Verschwinden eines solchen Menschen irgendwie positiv zu verarbeiten, so bleibt nicht viel mehr übrig als zu sagen: Freuen wir uns über ein gelungenes Leben. Jammern wir nicht darüber, dass es ihn nicht mehr gibt. Bemühen wir uns umso mehr selbst um ein gelungenes Leben. Erst der plötzliche Wegfall des wie selbstverständlich Guten lässt uns den eintretenden Mangel spüren. |
Wo ist mein Kollege jetzt, habe ich mich heute gefragt, als wäre eine Antwort darauf die natürlichste Sache der Welt. Und natürlich höre ich ihn reden, wenn ich darüber nachdenke, und sehe ihn vor mir. Dennoch: mit Gespenstern hat das nichts zu tun. Es hat etwas damit zu tun, dass wir uns mit Mitmenschen verbunden fühlen und ihnen gegenüber verantwortlich über deren individuelle Lebenszeit hinaus. |
Für mich hat das ganz entschieden mit Gott zu tun. Ich würde nicht zögern, die eingangs erwähnte Frage mit "Ja" zu beantworten. Aber nicht, weil ich an Gespenster in einem Jenseits glaube, sondern weil ich an den Menschen glaube, an die zentrale Aussage der Christen: an den Mensch gewordenen Gott. Profan ausgedrückt, verstehe ich darunter die Tradition der Mitmenschlichkeit und Empathiefähigkeit, die wir gemeinsam pflegen. |
Ich finde es durchaus tröstlich, sich in solchen Situationen solche Gedanken zu machen. Wahrscheinlich machen sich viele ähnliche Gedanken, ohne dass ihnen auffällt, dass sie sich damit in der Nähe von Gedanken über Gott befinden. Die Kirche tut leider nichts dazu, uns in solchen Gedanken zu bestärken. Im Gegenteil: sie pflegt lieber ihr altbackenes Image als Wahrer und Verbreiter von Märchen und unglaubwürdigen Abstrusitäten. |
Kein Wunder, dass immer mehr Menschen nicht mehr wissen, woran sie glauben sollen. Zu seltsam dünkt ihnen der Satz: "Ich glaube an Gott". Bohrt man ein bisschen nach, reduzieren die meisten die Frage nach Gott auf die Frage nach einem Weiterleben nach dem Tod. Vielen erscheint ein solches weder plausibel noch sonderlich wünschenswert (wozu auch?). Manche jedoch glauben tatsächlich daran und stellen sich darunter so manches vor. |
Dabei geht diese Frage am Wesentlichen vorbei. Was hilft es, an unser Dasein ein weiteres dranzuhängen? Hier und jetzt sind wir aufgerufen, ein sinnvolles Leben zu führen. Das Leben ist nicht dazu da, Gutpunkte für ein Jenseits zu sammeln. Wir sammeln unser Bemühen in ein größeres Ganzes, das unsere kleinen eitlen Existenzen weit übersteigt. Nur darum geht es. |
9/12 < MB 12/12 > 3/13 |
Parnia S. et al. (2008-12) The AWARE (AWAreness during REsuscitation) study. Sterz F. et al. (2023) Lapses of the heart. Frequency and subjective salience of impressions reported by patients after cardiac arrest. J Clin Med 12, 1968 Vass K, Berger ML, Nowak Jr TS, Welch WJ, Lassmann H (1989) Induction of stress protein HSP70 in nerve cells after status epilepticus in the rat. Neurosci Lett 100:259-64 |
P.s.:
In
meinem Ruhestand gehe ich viel im Wienerwald spazieren. Aus reinem Spaß
an der Freude vermesse ich Buchen und schätze aus der Dehnung
eingeritzter Jahreszahlen ihr Alter und ihre Wachstumsgeschwindigkeit.
Auf einer der ältesten (>200 Jahre) prangt seit Herbst 2022,
pünklich zum 10 Jahrestag, ein kleines blankes Messingschild. Es tut
gut, auf diese Weise hin und wieder an Karli erinnert zu werden. |