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Schmoren im eigenen Saft?* |
Unlängst wurden Standard-Leser mittels einer buntscheckigen Europa-Karte darauf hingewiesen, dass Österreich eines der letzten EU-Länder wäre, das die Landesverteidigung alljährlich neuverpflichteten Jungmännern überließe, statt sie in die zuverlässigen Hände professioneller Militaristen zu legen. In Wahrheit gab diese Karte nur wieder, in welchen EU-Ländern formell eine Wehrpflicht besteht – die Betonung liegt auf formell, denn tatsächlich steht es seit Langem jedem in Österreich Einberufenen frei, sich für den Wehrdienst oder für einen Wehrersatzdienst zu entscheiden. |
Ich selbst musste in den frühen 70er-Jahren meine Entscheidung für Letzteren noch gegenüber einem rührigen Ministerialrat verteidigen, der vergeblich versuchte, mich mit seinen nostalgischen Erinnerungen an seine eigene schöne Dienstzeit in Norwegen umzustimmen. Gespräche dieser Art werden den Dienstpflichtigen heutzutage nicht mehr abverlangt; es genügt, sich einer vorverfassten Erklärung anzuschließen. |
Und selbstverständlich obliegt der Betrieb auch des österreichischen Heeres seit seinem Bestehen professionellen Soldaten, die über viele Jahre engagiert und gewissenhaft ihren Dienst versehen. Die Frage muss also lauten: Wollen wir, dass auch weiterhin unserem Berufsheer alljährlich ein kompletter Jahrgang Jungösterreicher fakultativ zugeführt wird? Bei Beantwortung dieser Frage wären 2 Aspekte zu berücksichtigen: (1) Was für ein Heer braucht Österreich? (2) Sollten prinzipiell alle verpflichtet werden? |
Ad 1. Als ich in den frühen 70ern vor meinem Ministerialrat saß und nach Worten rang, war mein Hauptargument (soweit ich mich noch erinnere) dass ich mich nicht üben wollte im Gebrauch von Waffen, denn wäre darin niemand geübt, gäbe es keinen Krieg. Damit entlockte ich meinem Inquisitor immerhin ein mildes Lächeln (als hätte er gedacht: Wie schön, wenn es wirklich so wäre). |
Nach aufmerksamer Mitverfolgung von 40 Jahren Weltgeschehen (zwar aus der Distanz; zwar gefiltert durch Medien; immerhin mit halbwegs wachem Verstand) ist mein damaliger Radikalpazifismus doch etwas ins Wanken geraten. Heute halte ich es für keine so schlechte Idee, weltweit auf die Einhaltung gewisser Grundregeln des Zusammenlebens zu drängen, notfalls unter Androhung von Gewalt. Eine solche Drohung wirkt nur überzeugend, wenn sie sich auf adäquate technische und professionelle Grundlagen stützen kann. |
Selbst in einer bestmöglichen, auf Vernunft und Liebe basierenden Welt wird auch Österreich nicht umhinkommen, seinen Beitrag zu leisten, in welcher Form auch immer. Es wäre unfair, es nur den anderen zu überlassen, im Bedarfsfall die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Momentan kommt Österreich dieser Aufgabe mit einem Berufsheer nach, ergänzt durch alljährlich (Halb-) Zwangsrekrutierte. Wie würde sich dieses Heer durch Wegfall einer solchen wohlfeilen Ergänzung verändern? Könnte es den aktuellen Umfang seiner Leistungen trotzdem aufrecht erhalten? |
Zwar wäre der Wegfall der alljährlichen Ausbildungspflicht eine spürbare Entlastung für Ausbildner und militärisches Gerät, doch bei allfälligen Hilfseinsätzen (Stichwort: Katastrophenhilfe) müssten ob der empfindlich reduzierten Mannzahl die oberen Chargen wohl selbst hin und wieder zur Schaufel greifen. Auch ist zu befürchten, dass bei Ausbleiben des halbfreiwilligen Gastspiels ganzer Jahrgänge der Zustrom freiwillig Längerdienender empfindlich zurückgehen würde, wodurch sich ein Nachwuchsproblem ergeben könnte. |
Ad 2. Jeder Mensch unterliegt einer Reihe von Pflichten. So sind oder waren wir alle zum Schulbesuch verpflichtet. Wir unterliegen der Meldepflicht, der Steuerpflicht, der Versicherungspflicht (auch wenn diese Pflichten nicht einheitlich in allen Staaten der Welt in gleicher Weise bestehen). Auch die Wehrpflicht kann als eine solche Pflicht betrachtet werden. Aus heutiger Sicht mag es jedoch tatsächlich etwas seltsam erscheinen, ganze Jahrgänge Jahr für Jahr im Gebrauch von Waffen zu schulen. Auch betrifft diese Pflicht in ihrer aktuellen Form ungerechter Weise nur den männlichen Teil der herangewachsenen Jugend. |
Ich selbst fühle mich mit einem Heer, durch welches jedes Jahr ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung geht, wesentlich wohler als mit einer Truppe, die Jahr für Jahr im eigenen Saft schmort. Aber wenn man schon von jedem Mitglied der Gesellschaft verlangen will, wenigstens einen kurzen Abschnitt des noch kraft- und gesundheitsstrotzenden Lebens in den Dienst ebendieser zu stellen, so sollten davon (A) gerechter Weise alle betroffen sein, egal ob Männlein oder Weiblein, und (B) sollte nicht nur das Einüben in den Gebrauch von Waffen zum Gegenstand einer solchen Pflicht gemacht werden. |
Es gibt noch viele andere mögliche Dienste an der Gesellschaft, nicht zuletzt jene, die schon heute als Ersatz von jenen geleistet werden, die mit Waffen nichts zu tun haben wollen. Eine Dienstpflicht für alle innerhalb bestimmter Altersgrenzen, nicht beschränkt auf militärische Ausbildung, wohl aber diese als eine Möglichkeit von mehreren einschließend, wäre gerecht und könnte wohl kaum als nicht vereinbar mit Grund-, Menschen- oder sonstigen Rechten gesehen werden, denn schließlich sieht man ja auch bei den anderen erwähnten Pflichten keine derartigen Inkompatibilitäten. |
Zuletzt noch eine Entgegnung auf den häufig vorgebrachten Einwand, die zeitlich begrenzte Verpflichtung zu einem Dienst an der Allgemeinheit wäre moderne Sklaverei, und Arbeitgeber die derzeit von der billigen Arbeitskraft Ersatzdienst Leistender profitieren sollten sich in Hinkunft gefälligst auf dem Arbeitsmarkt um regulär zu bezahlende Mitarbeiter bemühen. Das hier angedachte Diensthalbjahr (so man denn 6 Monate für passend hielte) würde in aller Regel Jugendliche am oder vor Beginn einer beruflichen Tätigkeit betreffen. Man könnte sogar das Zeitfenster zur Ableistung mit dem Ende der Schulpflicht öffnen (auch wenn man bei bestimmten Diensten wie z.B. aktuell dem Dienst mit der Waffe bei 18 Jahren bleiben würde). |
Die meisten Dienstpflichtigen würden dann im gleichen Alter ihr Diensthalbjahr antreten, in dem sie auch eine Lehre antreten könnten. Entsprechend wäre es nur natürlich, sie nicht voll zu entlohnen, sondern sie wie im Rahmen einer Lehre zu bezahlen. Der Dienst hätte ja auch wegen seiner Kürze eher den Charakter einer Ausbildung und wird beendet, kaum hat dieselbe Früchte gebracht. |
Man sollte in diesem Zusammenhang auch nicht nur einseitig auf die erbrachte Arbeitsleistung starren, sondern sollte die psychologische Wirkung auf die Dienstleistenden im Vordergrund sehen. Die meisten werden bei dieser Gelegenheit zum 1. Mal mit der realen Arbeitswelt in Kontakt kommen und erste eigene Gehversuche unternehmen, außerhalb des gewohnten familiären Umfelds. Wir finden es seit Jahrhunderten sinnvoll, allen Menschen verpflichtend ein Mindestmaß an Bildung angedeihen zu lassen. Warum soll eine Gesellschaft die sich ihr anverwandelnden Mitglieder nicht auch institutionell organisiert auf den ersten Schritten in Selbstständigkeit und Berufsleben begleiten? |
6/12 < MB 9/12 > 12/12 Education / Erziehung |
*Dieser Text wurde 9/12 der Tageszeitung 'Der Standard' angeboten. |