Abb. aus dem Roman von Sienkiewicz
"Quo vadis, Domine?"
So ("Wohin gehst du, Herr?") soll der verwunderte Petrus dem ihm bei Rom erschienenen 'Herrn' nachgerufen haben, erstaunt ob der Richtung, in die sich dieser aufmachte. So zumindest stellte es sich Henryk Sienkiewicz vor, der Autor des gleichnamigen Romans (1896). "Nach Rom", antwortete ihm Jesus, "um mich ein 2. Mal kreuzigen zu lassen", ehe er verschwand. Nach demselben Rom, aus dem Petrus eben auf der Flucht war, um nämlicher Behandlung zu entgehen. Und Petrus, der 'Fels', auf dem Jesus seine Kirche gründen wollte, erwies sich seines Namens würdig, besann sich, und kehrte um.¹
Die frühchristliche Gemeinde war sich der Rolle der Kreuzigung, des widerstandslos hingenommenen gewaltsamen Todes, noch bewusst. In die Menschwerdung Gottes konnte man Jesus nur nachfolgen, wenn man wie dieser Leid und Tod geduldig auf sich nahm. Nur so konnte man mit Paulus den Schergen entgegenhalten: "Tod, wo ist dein Stachel? Wo ist dein Sieg?" Der vermeintliche 'Sieg' des Gewalttäters entpuppt sich am Ende als dessen Untergang.
Seit rund 2.000 Jahren steht der christliche Teil der Welt auf diesem Fundament. Es verlangt von seinen Anhängern eine Haltung, die nicht immer leicht fällt. Auch Petrus fiel es schwer (bei Sienkiewicz; das Ereignis wird im Neuen Testament nicht erwähnt). Auch wir tun uns heute noch schwer damit. Tatenlos dabei zusehen, wie einem selbst und den Seinen Gewalt angetan wird? Auch ich musste mir einst als Verweigerer des Dienstes mit der Waffe vor der Stellungskommission in Gestalt eines rührigen Ministerialrats diese Frage gefallen lassen.
Wie ich damals geantwortet habe, weiß ich heute nicht mehr. Gut möglich, dass ich mich auf eine Unterscheidung zwischen persönlicher Notsituation einerseits und der institutionalisierten Unterweisung im Gebrauch von Schusswaffen andererseits zurückgezogen habe. Jedenfalls wurde meinen 'Gewissensgründen' stattgegeben. Heute allerdings steigt in mir immer öfter der Wunsch auf, den Aggressor aus dem Osten gewaltsam in die Schranken zu weisen.
Wir alle kennen solche Reflexe. Sie sind zutiefst menschlich und haben dazu beigetragen, dass unsere Art den 'Kampf ums Dasein' überlebt hat. Heute aber könnten genau diese 'Reflexe' zur Auslöschung unserer Art führen. Die Gewalt, zu der wir alle neigen, bedurfte schon immer und umso mehr heute der kulturellen Einhegung. Zum Glück spielt beim Genus Homo sapiens genau diese Kultur die erste Geige. Es gibt nichts was der Mensch nicht lernen kann, und nichts wozu er nicht erzogen werden kann, im Guten wie im Bösen.
Leider sind Menschen ziemlich begriffsstützig und mussten im Verlauf ihrer Werdung schon viel Lehrgeld zahlen. Gerade stehen wir vor der größten Herausforderung seit 45. Damals meinten wir, endlich die Lektion verstanden zu haben. Es kam zur Neugründung einer Organisation für alle Länder ('Vereinte Nationen', 1945) und zur Verabschiedung eine 'Charta für Menschenrechte' durch dieselbe (1948). Konflikte sollten in Hinkunft diplomatisch bewältigt werden und nicht durch Anwendung von Gewalt.
Die besten Regeln helfen nicht, solange es Akteure gibt, die sich nicht daran halten. Im zivilen Leben geht man gegen Gesetzesbrecher im äußersten Fall durchaus mit Gewalt vor. Was aber tun, wenn sich ganze Staaten danebenbenehmen? Würde Jesus den Aggressor gewähren lassen? Wahr- scheinlich würde er zwar nicht der Anwendung von Gewalt das Wort reden, wohl aber der Einhaltung der zur Friedenssicherung vereinbarten Regeln. Durchsetzbar wären sie auch ohne institutionalisierter Gewaltanwendung großen Stils ( = Krieg), wenn sich alle Länder einig wären.
Wie sich leider zeigt, sind nicht alle Länder gewillt, der kriegerischen Gewalt abzuschwören. Noch haben wir (leider) als Menschheit diese kulturelle Stufe nicht ganz erreicht. Es steht zu hoffen, dass die Katastrophe, in die wir gerade stolpern, nicht so schlimm ausfallen muss wie die letzte, und dass danach auch die letzten Barbaren dieser Erde gelernt haben werden, wie man Konflikte löst, ohne sich gegenseitig die Schädel einzuschlagen.
¹ Die Erzählung hat ihre Wurzeln im Schlussteil der 'Petrusakten', der Passio Petri. Entsprechende Texte waren seit dem 2. Jhdt. bekannt, fanden aber bei der Zusammenstellung des Neuen Testaments keine Berücksichtigung.
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