Wohin soll das noch führen? |
Scheinbar gibt es Fragen, die man nicht stellen darf, um nicht sofort als Dummkopf dazustehen. Warum muss die Wirtschaft ständig wachsen? Warum muss jedes Jahr mehr produziert und mehr konsumiert werden als im Jahr davor? Das sind solche Fragen. Die schnellste Antwort, die man bekommen kann, ist diese: Damit die Wirtschaft überhaupt funktioniert. Wir haben also eine Wirtschaft (sollte man besser Wirtschaften sagen? Kann man nach der Globalisierung noch von Wirtschaften verschiedener Länder sprechen?) - wir haben also eine Weltwirtschaft, die das Wachstum braucht, um zu funktionieren. |
Was versteht man eigentlich unter 'Wirtschaftswachstum'? Ich will einmal so optimistisch sein, dass unsere Wirtschaftstreibenden darunter nicht den ständig steigenden Ressourcenverbrauch und Ausstoß von Abfall und Abgasen verstehen, denn dann wäre es fatal, ständig danach zu streben. Nein, natürlich schließt Wirtschaftswachstum den immer intelligenteren Gebrauch der Ressourcen mit ein, wie auch technische Innovationen beim Wiederverwerten des Abfalls und bei der Abgasvermeidung. Gerade Nachhaltigkeit braucht den Fortschritt und Investitionen in moderne Industrieanlagen. |
Aber was ist dann mit Wirtschaftswachstum gemeint? Ständig steigende Reallöhne? Steigender Wohlstand? Wie misst man dieses Wachstum? An der Stückzahl der pro Jahr produzierten Autos? An den Nächtigungszahlen der Tourismuszentren? Am Weihnachtsgeschäft? Am Übergewicht der Bevölkerung? Am Cholesterinspiegel der Topmanager? |
Auf einmal geht die Angst um in der Welt, die Wirtschaft könnte aufhören zu wachsen, ja sie könnte sogar (horribile dictu) schrumpfen. Und wenn sie es täte? Stünde uns großes Elend bevor? Seit Jahrzehnten wächst die Wirtschaft wie verrückt. Vor 30 oder 50 Jahren war also die Wirtschaftsleistung sehr viel geringer als heute. Warum? Wurde damals weniger gearbeitet als heute? Natürlich nicht. Schon damals gab es weltweit für die meisten 40-Stunden-Wochen, und tendentiell wurde eher mehr gearbeitet als heute. |
Aber viele Produktionsprozesse wurden mechanisiert und automatisiert, z.T. von Computern übernommen, deren Rechenleistung sich alle 2-3 Jahre verdoppelte. Die Menschen haben heute mehr Freizeit als damals, fahren öfter auf Urlaub und verbringen ihn weiter weg. Haben wir damals gehungert? Ungesünder gelebt? Im großen Stil gehungert wurde bei uns zum letzten Mal im Jahr 1945. Ich bin Jahrgang 1953 und habe in meinem Leben nur freiwillig gehungert, während meiner 14-tägigen Fastenübung, die ich mir seit 30 Jahren alljährlich auferlege. |
Wovor fürchten wir uns? Die Wirtschaftsleistung hat sich bei uns in den letzten 50 Jahren vervielfach, und wir fürchten uns allen Ernstes vor einem Minus von ein paar Prozent? Machen wir uns da nicht ein bisschen lächerlich? Sollte unser Ziel nicht die Stabilität der Wirtschaft sein? Sicher: wenn in einem Jahrhundert 2 Mal in desaströsen Weltkriegen alles verpulvert und zu Klump geschmissen wurde, dann macht danach eine wachstumsorientierte Wirtschaft durchaus Sinn. Aber irgendwann ist es wohl genug damit. |
Es kann unmöglich ewig so weitergehen. Der Konsum kommt uns zu den Ohren heraus, das CO2 in der Atmosphäre steigt, Zivilisationskrankheiten wie Diabetes und Allergien nehmen zu - es reicht. Wir haben nicht nur kein Problem mit einer kleinen Wirtschaftsschrumpfung, wir sollten uns darüber freuen. Nur auf eines müssen wir achten: dass das Schrumpfen nicht bei den Ärmsten beginnt. |
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Jackson T, Victor PA (2019) Unraveling the claims for (and against) green growth. Science 366, 950-951 |