Konventionen
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Seit
3 Jahrzehnten bin ich mit dem Fahrrad auf den Straßen Wiens unterwegs,
und zwar ziemlich furchtlos. Es schreckt mich nicht, mich auch auf
mehrspurigen Fahrbahnen im Autoverkehr zu behaupten. Mir ist bisher
noch nichts Ernstes passiert. Dabei fahre ich täglich. Wahrscheinlich
bin ich deshalb relativ sicher unterwegs, weil ich eher langsam fahre.
Auf mehr als 20 km/h komme ich kaum. |
In
all den Jahren habe ich es als Radfahrer auf eine einzige
Verkehrsstrafe gebracht. Als ich gegen eine Einbahn fuhr, kam
blöderweise ein Polizeiauto um die Ecke. Die Fahrbahn war breit genug,
und wir wären locker aneinander vorbei gekommen. Die Polizisten hat
dieses Argument nicht beeindruckt. Erst ein Jahr später war es
dort erlaubt, mit dem Rad gegen die Einbahn zu fahren. |
Vor
Jahren wurde ich in Paris Zeuge einer für mich erstaunlichen
Straßenszene. Es war während der spätnachmittäglichen Verkehrsspitze.
Auf einer vierspurigen Straße wälzten sich in beide Richtungen
unendliche Kolonnen
dahin. Zu beiden Seiten der Straße stauten sich die Menschenmassen, auf
eine Lücke lauernd. Mittendrin ein armer Verkehrspolizist. Niemand
achtete auf ihn. Als der Verkehrsstrom ein wenig ins Stocken geriet,
stürzten die Menschenmassen sofort los, und während sie über die Straße
fluteten, drehte sich der Polizist, die Richtung weisend, die sich die
Fußgänger sowieso ohne ihn erkämpft hatten. |
Auch schon vor etlichen Jährchen kam ich in Frankfurt am Main als Fußgänger mehrmals
in den Genuss eines Erlebnisses ganz anderer Art: Während ich als
geschulter Österreicher an einem Zebrastreifen auf einen günstigen
Moment wartete, hielten die Autos vor mir an! Fast peinlich berührt
überquerte ich die Straße. Wenn man in Wien so etwas erlebt, sitzt
wahrscheinlich ein Deutscher am Steuer. |
Das
letzte Stück meines Heimwegs von der Arbeit führt gegen eine
mehrspurige, stark befahrene Einbahn. Manchmal, wenn die Ampel rot ist,
macht es mir Spaß ein Stück aus der falschen Richtung auf die wartende
Meute zuzufahren. Meistens aber benutze ich den 2 m breiten Gehsteig.
Ich fahre dabei im Schritt-Tempo und halte mich von Hauseingängen fern.
Auf noch etwas achte ich dabei: darauf, dass kein Polizist in
Sichtweite ist. Ich habe aber den Eindruck, dass die meisten Polizisten
harmlose "Übertretungen" von gefährlichen unterscheiden können. |
In
letzter Zeit scheine ich öfter als früher auf Fußgänger zu treffen, die
es mir übel nehmen, wenn ich auf dem Gehsteig fahre. Komischerweise
sind das immer Zurufe aus der Ferne, von der anderen Straßenseite, oder
auch einmal aus einem Fenster. Könnte es sein, dass in Wien generell
die Atmosphäre zwischen Fußgängern und Radfahrern schlechter geworden
ist? Dabei laufen dieselben Fußgänger, die die Radfahrer dazu ermahnen
die Straßenverkehrsordnung einzuhalten, selber bei Rot über die Straße. |
Wie
man am Beispiel Paris sieht, gibt es auch einen entspannteren Umgang
mit Regeln. Über lange Zeiträume spielen sich informelle Konventionen
ein. Hoffen wir, dass auch die Wienerinnen und Wiener mit der Zeit den
Radfahrern mit Verständnis und nicht nur mit dem Buchstaben des
Gesetzes begegnen. Ihre Frequenz nahm in den letzten Jahren zum Glück
zu; leider hat die ihnen zur Verfügung gestellte Verkehrsfläche damit
nicht Schritt gehalten. Deshalb müssen wir gelegentlich zu Notlösungen
greifen. Solange das mit Vernunft und Vorsicht geschieht, sollte es keinen Grund zum Schimpfen geben. |
8/13 < MB 8/13 > 9/13
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