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Sex sollte sein wie der Klebstoff bei einer guten Bastelarbeit: Man sieht ihn nicht.
So notierte ich im Dezember 15 in mein Tagebuch. Der Gedanke hat bis heute überlebt, ohne an Präzision zu verlieren. Durch Zufall bin ich auf den unscheinbaren Eintrag gestoßen (Handschrift auf Papier, bitte schön). Ich hatte ihn nach 10 Jahren schon fast vergessen.
Damit kommt ein ganzer Rattenschwanz von Gedanken in der knappst-möglichen Form zum Ausdruck. Ich lese meine eigenen Texte durchaus kritisch. An diesem Fragment habe ich auch nach 10 Jahren nichts auszusetzen. Die Aussage trifft zu. Zusätzlich zum semantischen Gehalt fallen zwei ethische Wertungen auf: Es ist davon die Rede, dass etwas so sein "sollte", und die zum Vergleich herangezogene Bastelarbeit wird eine "gute" genannt. Ohne diese Wertungen wäre die Aussage entbehrlich.
Uns allen fällt natürlich sofort auf, dass die Feststellung sozusagen hineinspringt mitten in vermintest Terrain. Gleichzeitig fühlt man sich damit aber auch gut aufgehoben und fürchtet sich nicht vor den Minen. Warum das so ist? Weil hier metaphorisch ein Sachverhalt von einer konfliktbeladenen auf eine konfliktfreie Ebene verschoben wird.
Dem Sinngehalt der Feststellung kann auf der konfliktfreien Ebene leicht gefolgt werden. Bastelarbeiten und Reparaturen profitieren von den Eigenschaften des verwendeten Klebstoffs, getrennte Teile dauerhaft miteinander zu verbinden. Der Stoff selbst soll nur dieses eine Ziel ermöglichen. Tritt er über die Verbindungsstelle hinaus, wirkt das nicht nur unästhetisch, sondern kann auch die Funktion des Ensembles beeinträchtigen (z. B. durch die Einbeziehung eines angrenzenden Teils).
Was die wertenden Attribute betrifft ("sollte", "gute"), kommt man schon etwas mehr ins Grübeln. Jede(r) mag dazu für sich selbst zu jeweils eigenen Schlüssen kommen. Für mich resultiert die Zufriedenheit mit einer Bastelarbeit einerseits aus dem Erreichen des angestrebten Zwecks durch den Einsatz ausreichender, aber nicht überschießender Mittel; und andererseits aus dem erzielten ästhetischen Gesamteindruck. Nur in Ausnahmefällen (z. B. beim Zusammenfügen archäologisch bedeutungsvoller Keramiken) gilt es als Regel, Fugen deutlich sichtbar in Erscheinung treten zu lassen.
Was man tun soll oder lieber sein lassen sollte, führt uns endgültig hinaus ins Uferlose, dorthin wo wir als Individuum eventuell passen müssen. Das Sagen hat dort das Kollektiv, die Population, und unser jeweiliges Sollen hängt davon ab, wie wir uns in Relation zu diese|m/r verorten. Wir können uns als konstruktiver Teil des Ganzen fühlen, oder wir beziehen eine misstrauischen, vielleicht sogar feindselige Position.
Ich selbst neige eher zum konstruktiven Verhalten und bedauere es, dass in vielen unserer Gesellschaften der "Klebstoff" seine segensreiche Wirkung längst verloren hat. Zu sehr sind sie (die Gesellschaften) von ihm (dem Klebstoff) im Übermaß durchtränkt.
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