Michael Sowa: Autobahnschwein

Gladiatorenspiele?

Ich gehöre zu jener belächelten Minderheit, die immer noch gerne Formel-1-Rennen ansieht. Ich tue das schon ziemlich lange. Über die Jahrzehnte hat sich vieles geändert. Die wichtigste Änderung betrifft die Sicherheit. Früher tat ein Fahrer gut daran, sein Testament zu machen, bevor er sich an den Start begab. Das ist heute anders. Heute entsteigen Fahrer dem fürchterlichsten Crash - nahezu unverletzt. Leider kommt es immer noch hie und da zu schweren Verletzungen, und es sollte jede Anstrengung unternommen werden, die Sicherheit weiter zu erhöhen.
In diesem Zusammenhang registriere ich mit Besorgnis, dass die Rennen 'wieder spannender' gemacht werden sollen, durch stärkere und lautere Motoren, wahrscheinlich verbunden mit höherem Tempo. Ich fürchte, ab einem gewissen Tempo nützen die genialsten Sicherheitsvorkehrungen nichts mehr. Allein das abrupte Herunterbremsen - ob jetzt rennbedingt oder im Rahmen eines Unfalls - setzt Kräfte frei, die von den Nervenbahnen des Gehirns nicht immer unbeschadet überstanden werden. Man kennt dieses chronische Krankheitsbild nur zu gut aus dem 'Boxsport' und anderen Sportarten mit intensivem Körpereinsatz (Baseball, Rugby; high velocity injuries).
Spannung soll dem Zuseher nicht aus der Frage erwachsen: Stirbt einer, ja oder nein? So ging es in Alten Zeiten zu im Amphietheater bei den Gladiatorenspielen. Im richtig verstandenen Sport darf die Spannung nicht aus dieser Richtung kommen. Richtig verstandener Sport hat spielerischen Charakter und dient dem Abführen sozialer Spannungen auf nicht-verletzende Weise - eine geniale Erfindung, die der Mensch schon vor Jahrtausenden gemacht hat.
Auch der Autorennsport darf sich nur solange 'Sport' nennen lassen, solange er alles daran setzt, dass aus Spiel nicht Ernst wird. Er darf die Spannung nicht auf Kosten der Sicherheit der Fahrer steigern. Es bringt nichts, noch schneller zu fahren. Die aktuellen Geschwindigkeiten sind sowieso schon die schnellsten aller Zeiten. Wahrscheinlich sind sie schon jetzt höher als den Nervenbahnen im Gehirn zugemutet werden sollte. Im richtig verstandenen Sport resultiert die Spannung aus der Ungewissheit des Ausgangs. Die Zuschauer kommen, weil sie die Frage bewegt: Wer gewinnt? Erleben wir dasselbe wie immer, oder gibt es eine Überraschung?
Aus Gründen der Sicherheit, und auch um die sportlichen Bemühungen nicht zu sehr in Richtung Schnelligkeit zu lenken, wäre Folgendes sinnvoll:
(1) Damit die Rennen wieder spannender werden, sollte man die Teilnehmer in umgekehrter Reihenfolge starten lassen: den aktuell in der Gesamtwertung Führenden als Letzten, den aktuell an letzter Stelle liegenden als Ersten, getrennt durch jeweils 10 Sekunden. Damit entfällt der unfallträchtige Massenstart, und die Rennen bleiben über die ganze Saison spannend.
(2) Was wird dann aus den Trainingsfahrten in den Tagen vor dem Rennen? Wieder das, was der Name eigentlich sagt: ein Training für das Rennen. Sie haben diesen Charakter längst verloren und sind praktisch zu einem Teil des Rennens geworden. Wer die schnellste Trainingsrunde fährt, bekommt eine Tafel Schokolade.
(3) Schluss mit der Hetzerei in den Boxen. Ein Boxenstop muss mindestens 20 Sekunden dauern. Es gibt tatsächlich Zuschauer, die freuen sich über herumfliegende Reifen oder mitgeschleifte Mechaniker, aber wie gesagt: Wir wollen keine Gladiatorenspiele.
(4) Weg mit diesen seltsamen Reifenregeln. Die durchschaut sowieso keiner mehr. Jeder soll sooft die Reifen wechseln wie er es für sinnvoll hält. Bei einer auf mindestens 20 Sekunden verlängerten Boxenzeit wird man sich einen Reifenwechsel sowieso 3 Mal überlegen.
Motorengeräusche, Benzinverbrauch und Reifenabrieb sind notwendige, aber im Rahmen der technischen Möglichkeiten soweit wie möglich zu reduzierende Begleiterscheinungen. Im Vordergrund soll das Fahrgeschick der Teilnehmer stehen. Die Motoren sollen ruhig leiser werden, die Autos leichter, der Benzinverbrauch und der Abrieb niedriger, und wenn dann die Rundenzeiten ein bisschen länger sind: wen stört das?
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Ozolins, Bede; Aimers, Nicole; Parrington, Lucy; Pearce, Alan J. (2016). Movement disorders and motor impairments following repeated head trauma: A systematic review of the literature 1990–2015.Brain Injury 30: 937–47