Carl Spitzweg: Der arme Poet

Der einsame Dichter

Zum Dichter wird man nicht auf eigenes Betreiben, sondern aus Not. Es geht dabei immer um eine Ersatzhandlung aus Mangel an guter Kommunikation. Was man kommunikativ nicht ausleben kann - aus welchen Gründen auch immer - frisst man in sich hinein. Das Ergebnis sind sozial  inkompatible Verhaltensweisen, oder - im günstigsten Fall - bewunderte Hervorbringungen diverser Art.
Nicht nur Dichter kommen so zustande, auch Künstler anderer Art. So mancher dieser Schaffenden wäre lieber ein ganz normaler, zufriedener Mensch. Das Aufsehen, das einige wenige von ihnen erregen, ist ihnen lästig und eigentlich unerwünscht. Die - oft unerfüllte - Sehnsucht nach Kommunikation ist nie allgemein, sondern immer spezifisch auf bestimmte Personen gerichtet.
Fast nie werden die spezifisch gemeinten Personen durch die intensiven Hervorbringungen erreicht. Dichter (so wie andere Künstler) neigen dazu, in den Personen ihrer Aufmerksamkeit Eigenschaften zu vermuten, die diese nicht haben. Sie gehen irrtümlich davon aus, dass ihre Werke von den imaginierten Partnern dieser indirekt angestrebten Kommunikation genauso verstanden werden wie von ihnen selbst empfunden.
Leider ist das nur in seltenen Fällen so. Nur ca. eine von zehn Personen verfügt über das spezifische Sensorium, dass man braucht um mit Kunstwerken etwas anzufangen. Den meisten fehlt dazu das notwendige Rüstzeug und Einfühlungs- Vermögen. Deshalb finden Künstler ihr Publikum nie im inneren Kreis, für den sie sich eigentlich anstrengen, und bleiben trotz aller Anstrengungen unverstanden.
Kein Dichter plant seine Werke. Sie stoßen ihm zu. Er kann sich ihrer nicht erwehren. Im Akt des gelingenden Schreibens findet er - vorübergehend - Zufriedenheit. Das Gelingen ist für ihn erkennbar am Grad seiner Zufriedenheit. Ökonomische Erwägungen spielen keine Rolle. Sein Genuss ist für ein schmales Segment der Gesellschaft nacherlebbar. Nur wenn es gelingt, dieses öffentliche Nacherleben zu erreichen, wird aus dem Dichten ein Broterwerb.
Dazu allerdings braucht ein Dichter Hilfe. Aus eigener Kraft kann er zu keinen Lesern kommen. Er ist ja zum Dichter geworden, weil ihm der normale Umgang mit den Mitmenschen - aus welchen Gründen auch immer - schwer gefallen ist. Ausgerechtet ihn auf die Suche nach Lesern zu schicken wäre ein aussichtsloses Unterfangen.
Dichter - so wie andere Künstler - laufen Gefahr, sich ganz in sich selbst zu verkriechen und der Welt immer mehr verloren zu gehen. Sie leben mehr und mehr in ihren eigenen Hervorbringungen. Je weniger sie Kontakt mit der Außenwelt haben, desto eigener werden ihre Werke, bis am Ende kaum mehr ein Mensch sie verstehen kann.
Viele Künstler sterben inmitten ihrer Werke, die niemand kennt. Sie werden eines Tages in ihrer verwahrlosten Wohnung gefunden. Ihr Werk wird entsorgt. Wir erfahren davon nichts. Nur ein winziger Teil aller künstlerischen Produkte erblickt das Licht der Öffentlichkeit. Und auch dieser Blick ist oft nur ein vorübergehender. Auch viel gelesene Dichter können in Vergessenheit geraten.
Er gräme sich also nicht, der unerkannte Dichter. Er ist in guter Gesellschaft. Er freue sich still seiner Werke, genieße seinen Schaffensprozess, und lasse sich darin nicht stören. Er wird so ein glücklicherer Mensch sein als so mancher scheinbar 'Normale', der nie die Freuden kreativen Schwelgens erfahren hat.
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