Der einsame Dichter |
Zum
Dichter wird man nicht auf eigenes Betreiben, sondern aus Not. Es geht
dabei immer um eine Ersatzhandlung aus Mangel an guter
Kommunikation. Was man kommunikativ nicht ausleben kann - aus welchen
Gründen auch immer - frisst man in sich hinein. Das Ergebnis sind
sozial inkompatible Verhaltensweisen, oder - im günstigsten Fall
- bewunderte Hervorbringungen diverser Art. |
Nicht
nur Dichter kommen so zustande, auch Künstler anderer Art. So mancher
dieser Schaffenden wäre lieber ein ganz normaler, zufriedener Mensch.
Das Aufsehen, das einige wenige von ihnen erregen, ist ihnen lästig und
eigentlich unerwünscht. Die - oft unerfüllte - Sehnsucht nach
Kommunikation ist nie allgemein, sondern immer spezifisch auf bestimmte
Personen gerichtet. |
Fast
nie werden die spezifisch gemeinten Personen durch die intensiven
Hervorbringungen erreicht. Dichter (so wie andere Künstler) neigen
dazu, in den Personen ihrer Aufmerksamkeit Eigenschaften zu vermuten,
die diese nicht haben. Sie gehen irrtümlich davon aus, dass
ihre Werke von den imaginierten Partnern dieser indirekt angestrebten
Kommunikation genauso verstanden werden wie von ihnen selbst empfunden. |
Leider ist das nur in seltenen Fällen so. Nur ca. eine von zehn Personen
verfügt über das spezifische Sensorium, dass man braucht um mit
Kunstwerken etwas anzufangen. Den meisten fehlt dazu das notwendige
Rüstzeug und Einfühlungs- Vermögen. Deshalb finden Künstler ihr
Publikum nie im inneren Kreis, für den sie sich eigentlich anstrengen,
und bleiben trotz aller Anstrengungen unverstanden. |
Kein
Dichter plant seine Werke. Sie stoßen ihm zu. Er kann sich ihrer nicht
erwehren. Im Akt des gelingenden Schreibens findet er - vorübergehend -
Zufriedenheit. Das Gelingen ist für ihn erkennbar am Grad seiner
Zufriedenheit. Ökonomische Erwägungen spielen keine Rolle. Sein Genuss
ist für ein schmales Segment der Gesellschaft nacherlebbar. Nur wenn es
gelingt, dieses öffentliche Nacherleben zu erreichen, wird aus dem Dichten ein
Broterwerb. |
Dazu
allerdings braucht ein Dichter Hilfe. Aus eigener Kraft kann er zu
keinen Lesern kommen. Er ist ja zum Dichter geworden, weil ihm der
normale Umgang mit den Mitmenschen - aus welchen Gründen auch immer -
schwer gefallen ist. Ausgerechtet ihn auf die Suche nach Lesern zu
schicken wäre ein aussichtsloses Unterfangen. |
Dichter
- so wie andere Künstler - laufen Gefahr, sich ganz in sich selbst zu
verkriechen und der Welt immer mehr verloren zu gehen. Sie leben mehr und
mehr in ihren eigenen Hervorbringungen. Je weniger sie Kontakt mit der
Außenwelt haben, desto eigener werden ihre Werke, bis am Ende kaum mehr
ein Mensch sie verstehen kann. |
Viele Künstler sterben
inmitten ihrer Werke, die niemand kennt. Sie werden eines Tages in
ihrer verwahrlosten Wohnung gefunden. Ihr Werk wird entsorgt. Wir
erfahren davon nichts. Nur ein winziger Teil aller künstlerischen
Produkte erblickt das Licht der Öffentlichkeit. Und auch dieser Blick ist oft nur
ein vorübergehender. Auch viel gelesene Dichter können in Vergessenheit geraten. |
Er gräme sich also
nicht, der unerkannte Dichter. Er ist in guter Gesellschaft. Er freue
sich still seiner Werke, genieße seinen Schaffensprozess, und lasse
sich darin nicht stören. Er wird so ein glücklicherer Mensch sein als
so mancher scheinbar 'Normale', der nie die Freuden kreativen
Schwelgens erfahren hat. |
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