Der steinige Weg zur Demokratie |
Jedes Gemeinwesen steht vor der Herausforderung, gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Dieses Problem wurde in verschiedenen Gesellschaften unterschiedlich gelöst. Obwohl das Alte Griechenland als Wiege der Demokratie gilt, galt dort der weise Alleinherrscher als die bestmögliche Lösung. Zur Demokratie raffte man sich nur auf, weil es sich allzu oft als schwierig erwiesen hatte, weniger weise Alleinherrscher wieder loszuwerden. |
Nachdem wir diese Lektion inzwischen auf (fast) der ganzen Welt verstanden haben, bemühen sich (fast) alle Länder, funktionierende Demokratien einzurichten bzw. am Leben zu erhalten. Historisch betrachtet setzte sich die Demokratie wie wir sie heute kennen nur recht zögerlich ins Werk. Eigentlich bedurfte es immer einer gewissen Gewaltanwendung derjenigen, denen die aktive Mitsprache bei Entscheidungen verwehrt war. |
Der Mensch scheint so veranlagt zu sein, es sich gut gehen zu lassen und sich nur um das Notwendigste zu kümmern. Das mag auf den 1. Blick vernünftig erscheinen. Genauer betrachtet ist ein solches passives Verhalten dem guten Funktionieren eines Gemeinwesens aber eher abträglich. Wenn man sich schon auf einen pluralen Entscheidungsfindungsprozess eingelassen hat, so braucht man dafür auch mitdenkende kreative Mitbürger. |
Grundvoraussetzung für vernünftige Entscheidungen in komplexen Problemsituationen ist ein gewisses Maß an Wissen und die Fähigkeit zur Kommunikation. Beides wurde in früheren Jahrhunderten dem "gemeinen Volk" abgesprochen. Man sah sich daher berechtigt, ja sogar verpflichtet, wesentliche Entscheidungen einer Handvoll erlauchter Wissensträger zu überlassen. Erst die Allgemeine Schulpflicht brachte das Machtmonopol der herrschenden Schicht in Gefahr. |
Inzwischen können in Österreich (bis auf wenige %) alle Lesen und Schreiben und sind bei einer demokratischen Wahl zumindest in der Lage, einen Stimmzettel so zu bezeichnen, dass diese Handlung die von ihnen gewünschte und verstandene Konsequenz hat. Das allein wäre allerdings noch zu wenig für eine funktionierende Demokratie; denn in einer solchen geht es ja nicht nur darum, Chaos und Anarchie vorzubeugen, sondern gemeinsam Entscheidungen zu treffen, unter aktiver Anteilnahme aller. |
Optimistisch betrachtet, sollte eine große Gruppe von Diskutanten zu klügeren Entscheidungen finden als eine kleine, denn auch Computer die miteinander vernetzt arbeiten leisten mehr als einzelne Geräte. Als hinderlich erweist sich dabei leider immer wieder, dass Menschen nicht nur gut zusammenarbeiten können, sondern auch immer wieder miteinander in Streit geraten. Es bedarf also einer gewissen Übung und geeigneter Formalismen, um auch von scheinbar unüberbrückbaren Gegensätzen zu konstruktiven Lösungen zu finden. |
Die Demokratien dieser Welt stecken in ganz unterschiedlichen Entwicklungsphasen. Während die ältesten modernen Demokratien genau benennen können, auf wieviel Blut und eingeschlagenen Köpfen sie über Jahrhunderte entstanden sind, gibt es auch viele wesentlich jüngere Demokratien die gegenwärtig den schwierigen Versuch unternehmen, zu dieser Staatsform auf kürzerem Weg zu gelangen, belehrt durch das abschreckende Beispiel der Vorläufer. |
Ob allen das gelingen kann, ist fraglich; zu groß scheint die Versuchung, die alten Fehler zu wiederholen. Vielleicht kann eine gesunde Demokratie nur aus Millionen gewaltsam zu Tode Gekommener erwachsen. Wenn es so wäre, wäre es tragisch und stünden uns noch etliche sehr unruhige Jahrhunderte bevor. Aber auch die entwickelteren Demokratien sind noch lange nicht perfekt. Bei den meisten (allen?) kann noch keine Rede davon sein, dass alle Menschen zu den Entscheidungsfindungen beitragen. |
Zwar werden in den Hohen Häusern Debatten auf unterschiedlichem, zum Teil auch hohen Niveau geführt; aber welcher Bürger verfolgt diese Diskussionen im Detail? Wer könnte auf Anhieb sagen, welche Themen gerade behandelt werden? Ich behaupte: nur eine kleine Minderheit. Die große Mehrheit steht diesen inhaltlichen Auseinandersetzungen verständnis-, ja sogar interesselos gegenüber. |
Auch in unseren entwickelten Demokratien werden Entscheidungen auf 2 Ebenen getroffen: (1) Im kleinen voll informierten Kreis; und (2) auf banale Stereotype heruntergebrochen alle paar Jahre als einmalige Aktion für das breite Volk. Man ist auch in Österreich trotz Einführung der Allgemeinen Schulpflicht vor weit über 200 Jahren noch immer nicht so weit, das "einfache Volk" direkt mitbestimmen zu lassen. |
Ein lange überfälliger Schritt in diese Richtung ist nun vor der eben geschlagenen Nationalratswahl erfolgt. Die Entscheidungsträger der Hohen Politik sind aus ihrer himmlischen, menschlichem Grundverständnis entrückten Sphäre herabgestiegen in die Niederungen der Bierzeltatmophäre und haben sich für einige Auftritte zu Narren der breiten Masse gemacht.* Wie seinerzeit Am Heumarkt ging es zu, nur wurden keine körperlich am Gegner angebrachten Griffe, sondern publikumswirksame Sager von den Fans bejohlt. |
Es ist zu hoffen, dass sich in diesem Format endlich Volk und Entscheidungsträger auf halber Strecke treffen: Ersteres möge sich weiter soweit informieren und vorbereiten, dass es den Auftritt auch nach Herzenslust genießen kann; und Zweitere mögen sich wenigstens ab und zu in die Tiefen der volkstümlichen Leutseligkeit begeben. Wenn wir auch in den kommenden Jahrzehnten nicht nachlassen, fleißig in ein besseres Bildungssystem zu investieren, werden solche Veranstaltungen auch nach und nach ihre momentan noch ziemlich unerträgliche Penetranz verlieren. |
9/13 < MB 9/13 > 9/13 Society as a complex system |
* So geschehen bei einer Reihe von 1:1-Konfrontationen im ORF, vor Fangruppen der Kontrahenten. |
Siehe auch dieses ... |