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Recht auf Arbeit?
Jeder hat das Recht auf Arbeit. So steht es im Artikel 23/1 der Allgemeinen Erklärung der Meschenrechte (1948). Dieselbe ist notwendiger Weise in den Details recht knapp gehalten. Man wollte alles Wesentliche benennen und sich nicht im Uferlosen verlieren. Hinzugefügt wird in einem 2. Absatz, dass allen für die gleiche Arbeit der gleiche Lohn gebührt; dass dieser Lohn eine menschenwürdige Existenz sichern soll (Abs. 3); und dass (Abs. 4) es zulässig sein muss, Gewerkschaften zu bilden.
Eines allerdings hätte wohl den Rahmen der Erklärung gesprengt: Es wurde nicht der Versuch unternommen, im Detail festzustellen, was unter 'Arbeit' zu verstehen ist. Wohl lassen die Zusätze 2-4 erahnen, dass hier eine entlohnte Tätigkeit zur Deckung der Lebenshaltungskosten gemeint ist. Aber darüber, worin diese Arbeit bestehen soll, hält sich die Erklärung bedeckt (wie auch bei vielen anderen Themen, die in diesen Artikeln nur angerissen werden).
Ich werde nie die hübsche junge Dame vergessen, die in der Cafeteria des C.N.R.S. in Gif-sur-Yvette hinter der Theke unsere Bestellungen entgegen nahm (vor über 40 Jahren). Unter 3 oder 4 Tropfhähnen standen im Hochbetrieb immer 3 - 4 kleine Tassen, in die langsam aber stetig der köstliche schwarze Schaum unter starker Dampfentwicklung strömte, begleitet vom unverwechselbar zischenden Geräusch. Weder davor noch seitdem habe ich einen Menschen erlebt, der so eins mit seiner Arbeit war: Jeder Handgriff saß, alles wurde in der kürzest möglichen Zeit erledigt. Sie wirkte immer aufmerksam und froh und agierte trotz der atemberaubenden Schnelligkeit ihrer Verrichtungen   -   völlig. Ruhig.
Vielleicht war sie glücklich hinter dieser Theke, solange alles wie am Schnürchen lief. Soll jeder Mensch das Recht auf solches Glück haben? Wahrscheinlich verhält es sich mit diesem Artikel 23 so ähnlich wie mit den meisten anderen Artikeln auch: Jedem Menschen muss die Chance auf zufriedenstellende Arbeit eingeräumt werden; ob er sie auch nützt, muss wohl ihm selbst überlassen bleiben.
In jungen Jahren habe ich mich für die wissenschaftliche Forschung entschieden. C.N.R.S., Uni Wien, Biozentrum (Ff/M), und MedUni Wien sollten meine Stationen werden. Ich kam zu einigen interessanten Projekten, Kooperationen und Publikationen. Über 40 Jahre lang war ich es gewohnt, die Inhaltsverzeichnisse der wichtigsten internationalen Journale auf meinem Arbeitsgebiet (und darüber hinaus) zu überfliegen. Die Ausdrucke der interessantesten Artikel füllten bald Hunderte Hängeordner, die meisten mit meinen handschriftlichen Anmerkungen.
Mit 1. Oktober jenes Jahres, in dem ich im Frühjahr mein 65. Lebensjahr absolviert hatte, zwang mich mein letzter Arbeitsgeber (die MUW) zum Rückzug ins Private. Eines nachts karrte ich die Hängeordner, die mir am wichtigsten waren, im Schweiße meines Angesichts in meine (zum Glück nicht allzu fern gelegene) Wohnung (mit dem Ladestapler   -   Auto besitze ich schon lange keines mehr). Immerhin kann ich jetzt auf einen bescheidenen Rest meines wissenschaftlichen Universums immer noch zugreifen, aber der Teil wird von Jahr zu Jahr kleiner. Man hat mich nämlich nicht nur des Hauses verwiesen, sondern verwehrt mir auch den online-Zugriff auf die wissenschaftlichen Journale.
Mein Recht auf Arbeit ist mit dem 65. Lebensjahr de facto erloschen. Anstelle des Artikels 23 gilt für mich jetzt Nr. 26: Jeder hat das Recht auf Lebens- standard, der ... Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich ... soziale Leistungen ... im Alter...   -   Ein schwacher Trost.
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