Eiertanz
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Heute las ich im Standard ein Interview mit einem Bordell-Besitzer. Online bekommt man zusätzlich ein paar Eindrücke
aus dem entsprechenden Etablisment geliefert, garniert mit zahlreichen
leicht bekleideten Damen. Auch der eine oder andere Kunde durfte ins
Bild, aber natürlich unkenntlich von hinten. |
Seit
Jahren steigen in mir drängende Fragen auf, jedesmal wenn mir
medial dieses Thema vorgesetzt wird,
bleiben aber so nebulos, dass es mir nicht einmal gelingen will,
sie zu formulieren, von möglichen Antworten ganz zu schweigen. Ob es
mir unter dem frischen Eindruck dieses Beitrags endlich einmal gelingt?
Mit diesem Thema verhält es sich wie mit einer Wohnung, in
der seit Jahren nicht aufgeräumt und nicht sauber gemacht wurde: Man
weiß nicht, wo man anfangen soll. Was immer man berührt, scheint das
Chaos nur größer zu machen. |
Also
fangen wir ganz vorne an, im Alten Testament. Juda, einer der 12 Söhne
Jakobs und Stammvater eines der 12 Stämme Israels, sollte man sich
eigentlich als rechtschaffenen vorbildlichen Mann vorstellen, oder? Man
lese nach und staune. Gut, dem armen Mann war eben seine Frau gestorben.
Nachdem er ausgetrauert hatte, verließ er den Ort, um sich um seine
Schafe zu kümmern. Am Wegrand sieht er eine Frau, die er für eine Hure
hält, weil ihr Gesicht verdeckt ist. Und er zögert nicht lange, nimmt
die Gelegenheit wahr, einigt sich mit ihr über den Preis und "kommt zu
ihr" (an Ort und Stelle). |
Interessant, nicht wahr? Aber
es kommt noch besser: Genau diese Frau bringt man nämlich nach einiger
Zeit vor ihn, denn sie ist in Wahrheit seine Schwiegertochter, als
dieselbe er sie nicht erkannte (denn ihr Gesicht war ja verdeckt). Man
bringt sie mit der Anklage zu ihm, sie hätte "gehurt" und wäre jetzt
schwanger, mit der logischen Konsequenz, dass sie zur Strafe verbrannt
werden müsse (es ist natürlich komplizierter, aber lesen Sie selbst). |
Alle
unbequemen Fragen, die bei diesem Thema in mir auftauchen, sind auch
schon in dieser uralten Geschichte präsent. (1) Juda tut etwas, wofür
er sich zunächst einmal nicht sonderlich schämen muss. Unehrenhaft
hätte er nur gehandelt, wenn er den ausgehandelten Preis nicht bezahlt
hätte. (2) Zu schämen hat sich nur die Frau, die zur Wahrung ihrer
Anonymität das Gesicht bedeckt. (3) Lassen sich die Folgen nicht mehr
verheimlichen, ist es wieder die Frau, die die ganze Härte der Strafe
trifft. |
Das
ist es, was mich an diesem Thema stört: Es ist zur gleichen Zeit etwas
erlaubt und etwas verboten. "Verboten" ist eigentlich nicht das
richtige Wort. Heute wird niemand mehr verbrannt. Trotzdem wollen die
Kunden nicht gesehen werden. Offensichtlich schämen sie sich. Warum
eigentlich? Sie tun nichts Verbotenes. Trotzdem drängen wir per Gesetz
die dienstbaren Damen an den Rand des öffentlichen Raums. Damit sie das Stadtbild nicht stören? |
Was soll dieser Eiertanz? Schleichen wir durch die Hintertür in ein gutes Lokal, um dort lukullischen Freuden zu frönen?
Schämen wir uns, im Warmbad genussvoll in den Whirlpool zu tauchen? Es
steht doch außer Zweifel, dass auch die sexuelle Lust besser oder
weniger gut vermittelt werden kann. Warum sollen wir dafür nicht
bezahlen, was es uns wert ist, genau wie wir auch für ein gutes Menu
oder einen schönen Urlaub bezahlen? |
Ich
komme auch diesmal nur zu weiteren Fragen. Antworten sehe ich kaum.
Schon seit Jahrtausenden scheint es sich so zu verhalten. |
7/13 < MB 8/13 > 8/13
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