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Kein Gott mehr?

Berühmte und weniger berühmte Persönlichkeiten gerieren sich z.T. seit Jahrzehnten gerne als 'Atheisten'. Wissen sie überhaupt, was sie da sagen und in welchem kulturhistorischen Raum sie agieren? 'Gott ist tot' schrieb Friedrich Nietzsche erst im 19. Jahrhundert, doch schon vor 2000 Jahren starb Gott öffentlich an exponierter Stelle, sichtbar und hörbar für alle, die Augen hatten zu sehen und Ohren hatten zu hören.
Verstanden hat das zunächst niemand, im Gegenteil: Verzweiflung war angesagt. Die Anhänger des Gekreuzigten zerstreuten sich in alle Winde. Es dauerte seine Zeit, bis sie wieder Mut fassten und begriffen, was geschehen war. Und was damals geschehen ist, wird bis zum heutigen Tag nur von wenigen verstanden. Aber zu verstehen ist nicht unbedingt notwendig. Auch rational Unverstandenes kann wirkmächtig werden.
Als die entmutigten Anhänger des so schmählich Hingerichteten endlich verstanden, haben sie wirres Zeug geredet. Die Vorbeikommenden hielten sie für betrunken, was Petrus von sich wies (es war schließlich erst 'die dritte Stunde des Tages', Apg 2:15). Aufgeschrieben wurde das alles erst später, viel später. Nicht alle Schreiber 'verstanden', was sie da schrieben. Manches reimten sie sich zusammen, manches haben sie missverstanden. Vieles wird bis heute missverstanden.
Vor vielen Jahren, im ehrwürdigen Hörsaal 47 der katholischen Fakultät (Universität Wien, Hauptgebäude) war ich Zeuge eines denkwürdigen Vortrags. Man hatte den Physiker Herbert Pietschmann eingeladen. Die Vorlesungsreihe hieß 'Philosophie der Natur und Geschichte' und ihm wäre die Aufgabe zugefallen, in seiner Rolle als prominenter Physiker das Thema 'Natur' zu beleuchten. Jeder, der Pietschmann einigermaßen kannte wusste, dass er sich nicht auf diese ihm zugedachte Rolle beschränken würde.
"Was ist der zentrale Gedanke des Christentums?" fragte er das verblüffte Auditorium. Zunächst druckste man herum und niemand wollte sich dazu aufraffen, die vermeintlich (und vor allem an diesem Ort) so triviale Antwort zu geben. Fast spürte man ein wenig Irritation darüber, dass sich ein Physiker eine solche Frage überhaupt erlaubte. Aber die ersten zögerlichen Antworten stellten sich schnell als falsch heraus. Nein, an einen Gott zu glauben, das war es nicht. Das taten Moslems und Juden auch.
Es dauerte lange, erschreckend lange, bis endlich von irgendwoher der schüchterne Vorschlag kam: dass Gott Mensch geworden ist. Geradezu erleichtert war er da, unser Vortragender, dass in diesem zentralen Hörsaal der katholischen Fakultät schließlich doch noch das Richtige gesagt wurde. Gott ist Mensch geworden. Und dieser eine, der diesen unglaublichen Akt vollzog, tat es bis zur letzten Konsequenz: Er starb.
Wissen das, 'verstehen' das die sogenannten 'Atheisten'? Nicht einmal die sogenannten 'Gläubigen' verstehen das wirklich, die meisten von ihnen haben sehr simple Vorstellungen vom christlichen Glauben. So mancher wurde nach dem Holocaust zum Atheisten, denn ein Gott der diesen zugelassen hatte konnte nicht sein.
Es waren aber wir Menschen, die ihn zugelassen haben, und es wäre an uns Menschen gelegen, ihn zu verhindern. Auch an den Christen wäre es gelegen, an der Gemeinschaft zu der Gott wurde, damals, vor langer Zeit. Nach der Menschwerdung Gottes können sich die Menschen nicht mehr auf Gott ausreden. Sie sind jetzt aufgerufen, das Rechte zu tun. Wenn sie es versäumen geschieht - nichts. Kein Blitzstrahl schießt vom Himmel.
Sie selbst sind jetzt zuständig, voll und ganz. Gott nach dem Holocaust frustriert die Existenz abzusprechen läuft auf die Verurteilung des Menschen an sich hinaus, ist gleichbedeutend mit der finalen Resignation, mit dem Eingeständnis dass wir Menschen nichts taugen, dass es uns besser nicht gäbe. Manchen Atheisten unserer Tage meint man genau diese Haltung anzusehen. Sie wirken so, als hielten sie die Erde ohne Homo sapiens für die bessere Alternative.
Aber noch gibt es uns. Und es gibt Gerechtigkeit und ein Gericht. Es gibt Strafe und Barmherzigkeit, Verantwortung und Bescheidenheit, Vergebung und Liebe. Wir müssen nicht mehr 'Gott' dazu sagen.
4/17 <          MB (8/17)          > 10/17
Religion