Heinz Fischer
"Der Bundespräsident hat das Recht und die Pflicht, sich in angemessener Form zu Wort zu melden, um Beiträge für eine positive Entwicklung des Landes zu leisten. Er kommentiert nicht die Tagespolitik, meldet sich aber zu gesellschaftspolitischen Grundsatzfragen zu Wort, vor allem, wenn es um den guten Ruf der Republik Österreich geht..". (bundespraesident.at: Der Bundespräsident als moralische Instanz)

Moralische Instanz

Jetzt ist es also fix: Fischer gegen Rosenkranz lautet die Aufstellung für die kommende Wahl zum/zur Bundespräsident/en/in. Die Sprache, die die freiheitliche Kandidatin dabei führen wird, ist vorhersehbar. Sie wird in erster Linie versuchen, die Ängste des Wahlvolks vor Überfremdung anzusprechen. Damit wird sie sicher bei vielen Gehör finden. Ob sie auch viele wählen werden, ist eine andere Frage.
Seriöse Chancen, Fischer zu besiegen, räumt ihr niemand ein. Aber die Spielregeln der Demokratie verlangen es, daß ihr alle Möglichkeiten eingeräumt werden, ihre Meinung zu äußern und um Zustimmung zu werben. Als Demokrat muß man das begrüßen. Uns stehen also in Bälde Plakate, Ansprachen und Interviews bevor, zum Teil mit den sattsam bekannten Argumenten und Parolen.
Und Fischer? Welche Inhalte sind von ihm zu erwarten? Wird er sich auf routiniert vorgetragene Allgemeinplätze beschränken? Wird er sich beim Ausländerthema darauf beschränken, auf den Rechtsstaat zu verweisen und auf die Einhaltung der Deklarationen, die auch Österreich unterzeichnet hat? Oder wird er konkret die Themen der Kontrahentin aufgreifen und offensiv auf jedes einzelne davon eingehen?
Letzteres wäre zu hoffen, auch wenn das sicher der anstrengendere und schwierigere Weg wäre. Man sollte dem Wahlvolk soviel Intelligenz und Auffassungsgabe zutrauen, mit ihm Tacheles zu reden. Für viele stellt gerade der Bundespräsident eine hohe moralische Autorität dar, vielleicht gerade deshalb, weil seine tagespolitische Macht bescheiden ist.
"Natürlich", so könnte Fischer z.B. sagen, "empfinden viele Österreicherinnen und Österreicher den in den letzten 40 Jahren stetig gestiegenen und nach wie vor steigenden Anteil von Mitbürgern mit Migrationshintergrund als beunruhigend, oft als störend. Jeder Mensch hat eine natürliche Vorliebe für das Vertraute, das Gewohnte.  Niemand läßt sich gern in seiner Gemütlichkeit stören."
"Vor allem die Älteren unter uns", so könnte er fortfahren, "so wie auch ich selbst, haben aber noch gut in Erinnerung, daß das Leben nicht nur aus Gemütlichkeit besteht. Es wäre schön, wenn alle Menschen auf dieser Welt in Frieden und Ordnung leben könnten, genug zu essen hätten, ein sicheres Dach über dem Kopf, und nicht der Willkür von Aggressoren ausgeliefert wären. Leider gibt es immer noch zu viele Orte auf dieser Welt, wo das keine Selbstverständlichkeit ist."
Und dann könnte er noch weiter gehen und sagen: "In Gemütlichkeit ein schönes Leben zu führen, ist keine Heldentat. Was den Menschen erst zum Menschen macht, ist sein Gefühl, Verantwortung zu tragen, Verantwortung für den Mitmenschen. Diese Verantwortung tragen wir nicht nur für unsere Familie, unsere Freunde und Vertrauten. Nein, auch für die uns Unbekannten tragen wir Verantwortung, für Fremde, von denen wir zunächst keine Gegenleistung erwarten können."
"Wir tragen diese Verantwortung, weil wir Menschen sind. Genau dadurch wird nämlich der Mensch vor allen Tieren ausgezeichnet, daß er sich aufgrund seiner Vernunft anders verhalten kann als es seinem ersten Impuls entspricht. Ich kann als Mensch, als kultiviertes Wesen, angesichts eines Fremden meinen spontanen Schrecken, meine natürliche Scheu überwinden und beschließen, mich höflich, ja freundlich zu verhalten, und im Fremden den Mitmenschen suchen und ihn einladen, auch mich als seinen Mitmenschen anzunehmen."
So könnte er vielleicht reden, der Fischer. Nach allem, was ich in den letzten Jahrzehnten schon von ihm gehört habe, traue ich ihm das auch zu. Womöglich hat er Ähnliches sogar schon gesagt, und ich war bloß nicht dabei.
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